Es gibt so etwas wie das Goldene Dreieck Islands – zumindest was die Attraktionen und damit verbundene Besucherströme betrifft: Thingvellir, Geysir, Gullfoss liegen relativ nahe beieinander und sind mit Bussen, offroad oder onroad, von Reykjavik zu erreichen. Der dritte oder vierte Tag in der Zivilisation nach der ersten Hochland-Woche führt uns in die Welt der Bus-Touristen – wir erleben volles Haus in Thingvellir, der Versammlungsstätte der Alten Gemeinschaft Islands, dort wo die Häuptlinge und Clansfürsten des Mittelalters zusammen kamen, um Recht und Gesetz zu diskutieren und zu sprechen. Einen König oder eine übergeordnete Kontrollbehörde (neudeutsch: “Law Enforcement”, vulgo: Polizei) gab es freilich nicht.
Ziemlich voll hier. Außerdem rüffelt uns eine Park Ranger-Frau in recht hysterischer Weise. Über ein Stück Moos zu fahren, sei für einen Isländer schlimmer als wenn jemand die Nationalflagge verbrenne, wütet sie u.a. – da haben wir aber schon andere erlebt (und werden noch ganz andere erleben), und mir persönlich sind die eigene wie alle anderen Nationalflaggen komplett wurscht. Auch scheint sie Deutschland für einen Hort der Regel- und Ordnungslosigkeit zu halten – interessante Perspektive, die die Dame mal mit einem Marokkaner diskutieren müsste.
Der wahre Geysir heißt Strokkur
In Geysir, so heißt der Ort tatsächlich, gibt es genau diesen zu bewundern. Geysir ist ein Ortsname, der sich als Synonym für eine intermittierende Heißwasser-Fontäne in viele Sprachen der Welt geschlichen hat. So wie “Tempo” für Taschentücher, “Uhu” für Klebstoff. In Geysir gibt’s mehrere Geysire, einer davon wird alle paar Minuten aktiv und heißt mit richtigem Namen “Strokkur”. Einige blubbern nur vor sich hin…
Wir übernachten auf dem Parkplatz vor den Geysiren, obwohl’s eigentlich verboten ist – niemand kommt, um uns zu verscheuchen. Die Möglichkeit, dass doch noch zu später Stunde jemand kommt, um einen des Platzes zu verweisen, macht das freie Stehen manchmal unangenehm. Aber auch das ist Island, anderswo in der Welt geht es da lockerer zu.
Randnotiz: Tankwarte gibt’s in Island nicht. Tankstellen-Kassen auch nicht. Stattdessen steht neben der Zapfsäule einen Karten-Automaten, bei dem man festlegen muss, für wieviel Geld man tanken will – oder die Option “Full Tank” zu wählen. Manchmal aber akzeptiert der Automat die Karte nicht…
Pragmatismus und Inkonsequenz
Der Gullfoss-Wasserfall ist unsere nächste Station, auch diese eine der großen Touristen-Attraktionen Islands. Man muss ihn gesehen, dennoch entsteht mehr das Gefühl einer notwendigen Abhak-Station. Manchmal lässt sich so was nicht vermeiden. Aber auf Reisen gehen manche Konsequenz-Maßstäbe, die man unter heimischen Standard-Bedingungen entwickelt hat, verloren. Das Unterwegs-Sein unter minimalistischen Bedingungen geht immer mit pragmatischen Anpassungen einher.
Gullfoss-Wasserfall (“Foss” = Wasserfall).
So auch: Wir sind Vegetarier und möchten nicht, dass für unsere Bedürfnisse Tiere getötet werden. Dennoch essen wir manchmal Fisch – nicht immer ist es beim Reisen möglich, seinen Protein- und Mineralstoff aus tierethisch einwandfreien Quellen zu speisen. Und Plastik- und Synthetikklamotten sind uns als Ex-Triathleten wohlvertraut und wir besitzen viele davon für Outdoor- und Sportzwecke. Dennoch haben die frühen Jäger und Sammler gewusst, warum sie sich in Tierhäute gewickelt haben, und wir wissen, dass eine knisternde Fleece-Decke nicht das gleiche Wärmegefühl wie ein Rentier-, Seehund- oder Schaffell bietet. Auf einem Plastik-Campingstuhl lässt sich länger draußen ausharren, wenn ein Schaffell auf der Sitzfläche liegt. Wir erstehen ein wuscheliges…
Luft raus! Endlich wieder im Hochland
Im Gebiet von Kerlangarfjöll kommen wir abends an; Gottseidank! Das Hochland hat uns wieder, die Touristenbusse bleiben zurück, wir senken abermals den Luftdruck aus den Reifen, sind bereit für Matsch & Piste. Als wir die Motoren abstellen, ist nichts zu sehen in Nebel und Wolken.
Das kann in Island immer wieder passieren und passiert immer wieder – eine auch nur relative Wettersicherheit, eine eindrucksvolle Umgebung bei Sonnenschein zu erleben, gibt es nicht. Da wir in einer Gruppe aus drei Gelände-Lkws reisen, diktiert auch der Zeitplan das Weiterkommen – sonst bliebe man einfach solange stehen, bis Wetteränderung in Sicht ist.
Schlechte Aussichten am Kerlangarfjöll.
Beate entdeckt einen Ölfleck unter dem Unimog; Motoröl ist es offensichtlich nicht… vielleicht aber Getriebeöl… oder Achsöl von vorne? Sieht so aus, dass der Wellendichtring am Getriebe was abgekriegt – oder er hat halt nach 30 Jahren Materialbeanspruchung sein Recht auf Außerdienststellung eingefordert… ich liege mal wieder in Kälte und Wind unterm Auto und öffne die eine Gummimanschette am Antriebsstrang. Die ist mit Getriebeöl vollgelaufen; über welchen Zeitraum, lässt sich nicht sagen – in dem Moment, wo sie über mich und meine Klamotten läuft, ist mir das auch egal (der Geruch nach Getriebeöl wird mich den Rest der Reise nicht mehr verlassen).
Bei böigem Wind, der die Wohnkabine des Unimog schaukeln lässt, werden wir in den Schlaf geheult und gewackelt…(am nächsten Morgen werden wir einen Land Rover Defender mit Dachzelt neben unserem Fahrzeug vorfinden, der sich in unseren sechs Meter langen und 3,60 Meter hohen Windschatten gerettet hat).