Mensch wie Tier wie Pflanze sind auf unserem Planeten auf Sauerstoff und Nahrung angewiesen, die Sorge um diese Elemente engt grundlegend jede Freiheit ein – und daher könnte man die prähistorischen Jäger & Sammler als freieste Existenzform betrachten. Jäger & Sammler mussten zwar dem Wild hinterherziehen – aber ihr Nahrungsspektrum umfasste viele Ebenen, sie waren in der Lage, flexibel und beweglich auf sich ändernde Umstände zu reagieren, weil ihr geringer Besitz und die Konzentration auf die absolut notwendigsten Gegenstände sie sehr schnell und mobil machte.*
Bei manchen „Bushmen“-Gruppen in der südafrikanischen Kalahari wurde noch nicht einmal ein Zelt auf- und abgebaut, sie schliefen mit nichts als ihrem Lendenschurz bedeckt auf dem Boden. Nur will zu diesem Grad von Einfachheit und Eins-Sein mit der Natur heutzutage kaum jemand zurück, schon gar nicht die so genannten oder selbst erklärten digitalen bzw. Reise-Nomaden.
Dem kommen etwa „Today is a good Day“ oder der overland.defender eher nahe – sehr reduziert und ruhig Reisende, die wenig Boohei um sich selbst machen und mit eingeschränkten Automobilen für sich alleine unterwegs sind. Philipp von „Today is a good Day“ stammt ursprünglich aus Berlin, verfügt über beträchtliche Kenntnisse in Handwerk und Kfz-Technik gleichermaßen wie in Obst- & Gartenbau und lebt in Europa zu einem nicht unbeträchlichen Teil vom Containern. Er fährt anspruchslos mit einem alten, sehr eigenwillig um- & ausgebauten Mercedes Düdo durch die Gegend und mag wohl neben dem schon erwähnten Gangolf die freieste Person sein, von der ich bislang Kenntnis erhalten habe.
Ein Reise-Lkw ist ein Besitz, der Aufmerksamkeit, Pflege, Wartung, Sprit, Ersatzteile, Werkzeuge (manchmal spezielle und daher teure) erfordert… Das ist eben die Kehrseite: Mein Lkw hat mich möglicherweise dadurch am meisten Freiheit ge-kost-et, weil er unvermeidbare Reparaturen erzwang – für das Geld hätte ich mir viel anders geartete Bewegungs-Freiheit ermöglichen können.
Freiheit und Flexibilität
Könnte es nicht obendrein sogar sein, dass der Lkw am meisten „Unfreiheit“ nach sich zieht, weil sein Kennzeichen mangelnde Flexibilität ist – er passt etwa in keinen Schiffscontainer (muss also teuer und unsicher an Deck von einem Kontinent zum anderen transportiert werden); er verbraucht viel Sprit bei geringer Fortbewegungsgeschwindigkeit (was eine Rolle spielen mag, wenn ich wegen widriger Bedingungen gleich welcher Art schnell von einem Ort fortkommen möchte).
Aus dem Alter Philipps bin ich raus, Krankheit und Tod sind in Sichtweite. Für weniger Geld als manche Reparatur am Unimog habe ich ein altes MG Cabrio erworben, das mir viel Freude und (Bewegungs-)Freiheit in Spanien, wo es stationiert ist, verschafft.
Freiheit besteht in Wahl-Freiheit
(Aber wer, wie vorstehend erwähnt, von den Reisemobil-Fahrern verweist nicht auf Freund oder Bekannten hier oder da, wo er unterschlüpfen kann, wohin man ein Ersatzteil liefern lassen kann – wer kein oder kaum ein Netzwerk oder eine Art „Reise-Infrastruktur“ hat, verfügt auch über weniger Freiheitsgrade… (siehe auch Teil I dieser Serie: Hirtennomaden und ihre Kontakte entlang der Wanderrouten).
So besteht die Freiheit, zu wählen: Im südlichen Afrika mit dem 110er Defender (siehe: Nr. 5 lebt: DAMPH-WP…) zu überwintern, das europäische Frühjahr mit seinen Blüten & Gerüchen mit unserem Wohnkabinen-Pickup schnell & flexibel & kostengünstig (Sprit, Fährkosten) in Andalusien, Portugal, Griechenland oder Marokko zu genießen, den (Festival-)Sommer in Deutschland, den bunten Herbst im spanischen Galicien … oder fahrzeugfrei auf dem Israel Trail zu wandern.
An einen Reise- & Wohn-Lkw fest gebunden zu sein, würde bedeuten, immer an diesen und die Fortbewegung damit gebunden zu sein.
Aber, wenn man so will, geht es bei all dem Vorstehenden eigentlich einen per se eingeengten Freiheitsbegriff. Ob die Leute, die Freiheit allein davon ableiten, dass sie sich von ihrem Besitz weitgehend getrennt haben und in einem Auto leben, dadurch wirklich frei sind, ergibt sich nicht automatisch und zwangsläufig jedenfalls.
Freiheit im Kopf
Denn, ganz generell: Man ist innerlich frei, nicht äußerlich. Freiheit wird letztlich durch den inneren Zustand bedingt, in dem man sich befindet, nicht durch die Tatsache in einem unbeweglichen Steinhaus oder in einem beweglichen Rollhaus zu leben… Nelson Mandela ist in seinem Gefängnisinsel auf Robben Island offensichtlich innerlich frei gewesen.
Im philosophischen, spirituellen oder religiösen Sinne hat Freiheit natürlich nichts Stein- oder Rollhaus zu tun. Das Freiheit etwas mit der Freiheit im Kopf (oder im Herzen) zu tun hat, mit dem Loslassen von Ideen, Projektionen, Phantasien oder Kontrollbedürfnissen – das etwa hat Steffi von Keine Eile erkannt. Man kann in einengenden Lebensverhältnissen existieren, aber dennoch sich frei fühlen oder gar sein – etwa, wenn ich buddhistischen oder anderen spirituellen Darlegungen folge. Welche immer das für einen sein mögen. Aber gewiss kommt das dabei nicht auf die Form der Unterbringung an.
* siehe u.a.: Yuval Noah Harari – Eine kurze Geschichte der Menschheit.
Vierter und letzter Teil der Serie „Abgesang: Freiheit und Nomadentum“.
Alle Teile in chronologischer Reihenfolge:
Abgesang Freiheit & Nomadentum, Teil I (Wissenschaft)
Abgesang Freiheit & Nomadentum, Teil II (Besitz & Bewegung)
Abgesang Freiheit & Nomadentum, Teil III (Geld)
Abgesang Freiheit & Nomadentum, Teil IV (Gott)