Das Coronavirus und die damit verbundenen Auflagen & Einschränkungen haben gezeigt, dass die mobile Freiheit unterwegs eine fragile ist. Frankreich, Spanien, Portugal oder Marokko – sie alle schickten die Reise- und Wohnmobilisten nach Hause, wer Geschick & Glück hatte, strandete in idyllischer Lage, wollte dann aber früher oder später doch „nach Hause“ – also nach Deutschland oder zumindest auf den europäischen Kontinent in gesichertere und überschaubarere Verhältnisse)…
Vor den Fährhafen stauten sich weiße wie bunte Wohnmobile und Expeditionsfahrzeuge gleichermaßen; viele hatten Pech und tauschten die mobile „Freiheit“ gegen tage- und wochenlanges Stehen am Straßenrand im Stau. Wer Glück hatte, kam noch auf den letzten Drücker „rüber“ – von Marokko nach Spanien und weiter nach Portugal. Wo es je nach Diskussionsbereitschaft der Polizei noch zeitweilig möglich war, sich gemütlich zwischenzulagern.
Umherfahren war/ist ohne triftigen Grund nicht möglich. Aber selbst routinierte Propagandisten des mobilen Lifestyles auf vier Rädern zog es schließlich auf privates Gelände, sofern bekannt und erreichbar. Die „Freiheit“ digitaler Nomaden ist also eine labile: Wo ist die Freiheit, das zu tun, was ich möchte und dorthin zu gehen, wohin ich möchte? Ausgangssperren, Quarantäne u.ä. – wieviel leichter lässt sich das doch in einem fixierten, nach eigenem Gutdünken ausgestatteten stationären Domizil bewältigen, das man weitgehend selbst kontrolliert. Dessen potenziell mögliches Vorrats-Lager einen unabhängig von Klopapier-Hamstereien macht?
Fester Grund unter den Füßen bedeutet eben auch Freiheit – die Freiheit, nicht von den Ordnungsbehörden der jeweiligen Länder herumgeschubst oder drangsaliert oder ungesichert geduldet zu werden. Ermessensspielräume, die Polizeikräfte in den diversen Ländern Europas und des Mittelmeerraumes haben, können sehr unterschiedlich sein und obendrein noch individuell verschieden ausgelegt werden… Das wachsende Interesse an naturnah installierten Tinyhouses und Mobilheimen, Wagenplätzen und die Suchenden nach Feld&Wald-Plätzen für fest aufgestellte Bauwagen spricht dafür. My home is my castle erfährt in der Tat im alternativen Kontext ein Revival.
Rückzug zu Grundstück & Gebäude
Amumot & Crosli berichteten sogar, angesichts der fragwürdig gewordenen Perspektive, die Welt im Wohnmobil zu umrunden, sich Grundstück & Gebäude in Portugal angesehen (und mittlerweile erworben) zu haben – frei nach dem Motto: Wollten wir ohnehin in fünf bis zehn Jahren machen, also ziehen wir das jetzt vor und nutzen die Zeit zur Renovierung, um dann eventuell mit dem Offroad-Lkw wieder reisen zu gehen, wenn es möglich ist…
Klar ist ja: Irgendwann kommt der Zeit-Punkt, an dem das Alter seinen Tribut fordert. Irgendwann kommt die Situation, wo sich der eigene gesundheitliche Status im Wohnmobil nicht mehr gewährleisten lässt. Gunther Holtorf zog mit seinem berühmt gewordenen G-Mercedes namens „Otto“ 26 Jahre durch nahezu alle Länder der Welt – aber sein Lebensende verbringt er in seinem Haus am Starnberger See. Ein guter Bekannter – nunmehr immer noch absolut fitte und geistig rege 80 Jahre alt – beschließt sein aufregendes und spannendes Leben in einem gemütlichen Haus in einer völlig unbedeutenden hessischen Kleinstadt… „Ich habe genug von der Welt gesehen“, sagt er und es reicht ihm, in einem klassisch alten 3er Cabrio Kunst & Kultur der provinziellen Umgebung zu besuchen.
„Völlig raus“ – aber nicht aus der Versicherung
Auch auf die Bindung an den deutschen Staat und seine Rechts- und Sozialversicherungssysteme verzichtet kaum ein „digitaler Nomade“; selbst wenn man seine Steuererklärung bei gutem Wetter an einem idyllischen Strand macht und Fragen der Krankenversicherung dort klärt.
Ich habe nur eine Person in den vergangenen sechs Jahren getroffen, die sich womöglich von all dem „frei“ gemacht hat: Gangolf traf ich an einem See in hessischer Mittelgebirgslandschaft. Er besaß wirklich fast nichts und erklärte mir gegenüber auch, dass er jetzt so wenig besitze, dass der deutsche (Steuer-)Staat ihn in Ruhe lasse. Er sei vollständig „raus“… Diesen Schritt gehen die allermeisten Lkw-„Nomaden“ nicht – dass das deutsche Sozialsystem in all seinen Facetten unterm Strich seinesgleichen in der Welt sucht, hat eben seine Vorteile. Und das weiß besonders, wer in den USA, den afrikanischen wie asiatischen Ländern unterwegs war.
Gangolf hatte für sich festgestellt: Besitz belastet. Entlang des gerne zitierten Spruches „what you own, owns you.“ Ich habe es zu gerne geglaubt und habe ihm in kleinen Schritten versucht, nachzueifern: Alles muss raus! Minimalismus ist in! Es ist ein Gefühl von Konzentration auf das Wesentliche und damit von Freiheit, wenn man nur das besitzt (und sich auch nur um das kümmern bzw. es pflegen und intakt halten muss, was an Bord einer mobilen 9-Quadratmeter-Wohnung passt…)
Doch irgendwann kam mir zu Bewusstsein, dass Freiheit auch damit zu tun, sich nicht nur von Konsum- & Kaufzwängen, sondern auch dem Ausgeliefertsein an Fachkräfte und Fach-Dienstleistungen zu be-freien. Je mehr ich basteln & bauen kann, desto weniger bin ich auf andere angewiesen.
Wert-volle Wieder- und Weiterverwendung
(Natürlich hat do it yourself seine Grenzen, aber schon der Umgang mit LKW-und PKW-Technik sowie Aus- und Umbau der Wohnkabinen der Reise- und Wohnfahrzeuge zeigt, dass ein paar Grundkenntnisse in diesem oder jenem Gewerk hilft, Kosten zu sparen und Abhängigkeiten aus dem Weg zu gehen und damit zusätzliche Freiheitsgewinne zu verbuchen.)
Und mit dieser Erkenntnis einher geht das wachsende Bewusstsein für die Wieder- und Weiterverwertung diverser Gegenstände und Materialien, die man zuvor in den heimischen Müll geworfen hätte: Jeder Stoff wird wert-voll. Beispiel: Die Wasserkerne des unbequem gewordenen Wasserbettes bestehen aus sehr strapazierfähigen, absolut wasserdichtem Material (was wasserdicht ist, ist auch staub- & sanddicht!), das neu im Baumarkt zu kaufen, horrendes Geld kosten würde…
Lagerhaltung = Vorratshaltung
Freiheit entsteht durch Bewegungsfreiheit entsteht durch Improvisationsvermögen. Dafür braucht man nicht nur technische Kenntnisse, sondern auch die Er-Kenntnis-Fähigkeit, den inneren Wert und Gebrauchs-/Verwendungsmöglichkeit von Stoffen und Dingen wahrzunehmen – und sie dann ins Lager zu legen. Und ein solches Lager ist dann gewiss kein Besitz, der belastet, sondern der befreit.
(Ist der Nutzen größer, wenn ich ein paar Fahrräder, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben, in der Garage lasse (für den Fall, dass mir eines geklaut wird) oder sie für wenig Geld bei eBay verticke?)
Heimatbasis und Mutterschiff
Bei größeren Reise-Fahrzeugen umfasst ein solches Lager eher größere Trümmer. Also zieht es eine Heimatbasis nach sich – eventuell eine „Außenbasis“, etwa ausgesiedelte Freunde oder Bekannte mit Grundstück in Frankreich, Spanien, Portugal etc. Die postulierte mobile Freiheit benötigt folglich einen kleinen Heimathafen oder eine Art „Mutterschiff“, von dem das Beiboot aus in hohe See stechen kann. Was für die Seefahrt gilt, so zeigt es sich, gilt auch für die Landfahrt.
Womit sich der Kreis schließt und ich wieder bei der Freiheit wäre, die ein festes Domizil bedeutet: Ein Selbstversorgerhof verschafft eine gewisse Unabhängigkeit, weil man nicht von den Lieferungen der Supermärkte abhängig ist – das haben wir doch gerade in der Coronavirus-Krise gelernt?! Das ist folglich kein Besitz, der belastet, sondern befreit…
Steinhaus und Selbstversorgung
Unterwegs, on the road, muss man alles unterwegs auf Märkten und in Super-Märkten einkaufen. Sollte dies je „Freiheit“ gewesen sein, dann wird die relativ unbeschränkte Reise-, d.h. Bewegungsfreiheit nach Covid-19 und vor Covid-20 so nicht mehr bestehen. Für die Zukunft gilt: Vor dem Virus ist nach dem Virus.
In einem stationären Steinhaus mit Selbstversorger-Garten & -Gelände in einer geeigneten Region könnte man genauso frei sein – vielleicht sogar mehr als in einem gummireifenbasierten Rollhaus. Ein Brunnen ermöglicht eine eigene Wasserwirtschaft, eine Solaranlage sorgt für Warmwasser und Strom, gefällte Bäume und Sträucher für Wärme. Die umliegenden Wälder bieten überdies jede Menge Pilze, ggfls. jagdbares Wild.
Die Unabhängigkeit der Selbstversorgung
Man hätte die Freiheit, dass einen niemand vertreiben kann. Man hätte die Freiheit, seine Ruhe habe, ohne dass jemand dazu in der Lage ist, sie großartig zu beeinträchtigen. Das alles wäre ja kein Besitz, der belastet, sondern ein Besitz, der Freiheit bietet. Freiheit von Konventionen, von Zwängen, von Angewiesenheiten – Nomaden und Vagabunden sind von vielen unsicheren, prekären, wenig beeinflussbaren äußeren Umstände abhängig.
Steffi von Keine Eile hat das nach zehn Jahren Laster-Leben für sich entdeckt und hat ein Grundstück zur Selbstversorgung im Osten Deutschlands erworben. Um in aller Ruhe Menschen, Tiere und Pflanzen wachsen und gedeihen zu erleben. Und Gangolf, so ließ sich vernehmen, schlüpfte schließlich in einer Kommune in Portugal unter. Dort schien er, so hieß es, gefunden zu haben, was er suchte. Freiheit? Die ist dann wohl nichts, wofür man ein mobiles Heim zwingend bräuchte…
Zweiter Teil der Serie „Abgesang: Freiheit und Nomadentum“.
Alle Teile in chronologischer Reihenfolge:
Abgesang Freiheit & Nomadentum, Teil I (Wissenschaft)
Abgesang Freiheit & Nomadentum, Teil II (Besitz & Bewegung)
Abgesang Freiheit & Nomadentum, Teil III (Geld)
Abgesang Freiheit & Nomadentum, Teil IV (Gott)