Wenn man die Todra-Schlucht verlässt, folgt alsbald das Städtchen Tinerhir (bzw. Tinghir)… und da müssen wir hin, denn schließlich fährt Reiseleiter André seinen IFA L60 immer noch in einem mit Spanngurten zusammengeflickten und -gehaltenen Fahrerhaus. Und das schon seit zwei Tagen. In Tinerhir soll der gebrochene Bolzen geschweisst werden.
Außerdem: Die Iveco-Reisenden waren gestern nicht so scharf aufs Duschen im Hotel. Warum? Weil sie als einzige eine Dusche an Bord haben, diese täglich nutzen – und nunmehr die ersten sind, deren Wassertank leer ist. Wir wiederum mit dem kleinsten Diesel-Vorrat müssen diese kostbare Flüssigkeit nachtanken – seit wir den Unimog mit seinen 20-22 Litern Verbrauch pro 100 Kilometer haben, verstehen wir die Mad Max-Filme erst richtig. Es kann nur eine Prioritätenliste geben:
1. Wasser
2. Diesel
3. Motoröl
Während der IFA mit seiner Besatzung in einer Werkstatt steht, fahren wir in die Innenstadt und parken unsere voluminösen Gefährte in einer engen Seitenstraße inmitteln all des Gewusels aus Fahrzeugen, Menschen und Tieren. Ein Aufpasser kriegt ein paar Dirham.Wir gehen Gemüse und Getränke einkaufen auf dem Markt in Tinerhir und stromern durch die Gassen und Gäßchen. Immer gefolgt von einem oder mehreren freundlichen Menschen, die kommen und gehen, verschwinden und wieder auftauchen und die meist in bestem Deutsch uns in dieser oder jenes Geschäft zu entführen suchen. Aber: Im Gegensatz zu anderen Ländern lassen sie einen in Marokko in Ruhe, wenn man hartnäckig abweist oder ablehnt.
Wir weisen nicht hartnäckig genug ab, sind aber auch neugierig und lassen uns zu einem webenden Berber-Paar in einer abgelegenen Gasse entführen und werden in die Untiefen ihres verschachtelten Hauses gelotst. Von Andreas Altmann und seinen Reise-Büchern zu Afrika habe ich gelernt, das nun folgende als Schau-Spiel zu verstehen, als Spaß – und nicht als Bedrohung oder Gefährdung. Alles, was wir verlieren können, sind ein paar Dirham (in Euro nicht der Rede wert) – und wenn man das Gefeilsche als Unterhaltung versteht, kriegt man für sein Geld fantastisches Kino. Live.
Und obendrein ein Kissen und eine Umhänge-Tasche für unser orientalisches Zimmer im Souterrain unseres Hanauer Heimes. Cola und Kaffee im Café nahe des Markts sind noch drin. Als der IFA fertig repariert ist, schreiten wir flugs zur Ab- und Weiterfahrt und übernachten schließlich auf einer Hochebene im Nirgendwo – ob des Windes die Lkws zu einer Wagenburg formiert.
Es bläst derart, dass ich mitten in der Nacht aufstehe und die Feststellbremse des Unimogs kontrolliere und noch Steine hinter die Reifen lege. Ein Abgrund ist nur ein paar Meter hinter unserem Heck. Am nächsten Morgen sind wir die Attraktion für die Kinder der Umgebung auf dem Weg zur Schule. Wie so häufig, betteln sie. Und wie ebenso häufig, kriegen sie kein Geld, sondern Stifte und Papier. Auch das für sie ein kleines Vermögen. Und eine gute Investition.