Zwölf Stunden in der fliegenden Blechbüchse sind immer eine Herausforderung, dies aber besonders in Pandemie-Zeiten und mit jeder Menge Mitreisender, die das Tragen einer Schutzmaske für Schnickschnack halten. Man sitzt eng beieinander, kann kaum ausweichen und die Belegschaft der Vierer-Sitzreihe gegenüber hat in erstaunlicher Dreistigkeit eine ausgereifte Technik entwickelt, die Maske nur dann schnell über Mund und Nase zu ziehen, wenn die Flugbegleiter durch die Gänge laufen. Und da helfen auch keine eindringlichen Appelle und Ansprachen der Lufthansa-Crew, doch Rücksicht auf alle Passagiere zu nehmen – eben auch die, die sich gefährdet fühlen.
An Bord der fliegenden Blechbüchse kann man sehr gut beobachten, dass Rücksichtnahme auf & Respekt für andere offensichtlich vielen Menschen, die sich den nicht eben billigen Flug von Frankfurt nach Kapstadt leisten können, abhanden gekommen ist. Oder nie vorhanden war. Ist mir völlig unverständlich, dass es nicht möglich ist, auf die Bedürfnisse anderer einzugehen, auch wenn man selbst eine andere Einschätzung hat… In diesen Momenten lässt sich der Eindruck schwer vermeiden, dass sich der westliche Individualismus in eine Fratze aus Egoismus & Narzissmus verwandelt.
Hauen und Stechen
Ich möchte mir dann in diesen Momenten nicht vorstellen, was an Bord des Airliners wohl los sein wird, wenn es eine wirkliche Problemsituation gibt: Brand an Bord, Notlandung… – ich fürchte, ein Hauen & Stechen wird losgehen, bei dem alles, was schwächer ist, niedergebügelt wird. Und letztlich zeigt der Mikrokosmos des Flugzeugs nur, was sich im Makrokosmos der Gesellschaft genauso abspielt. Schlimm, dass die Unvernunft, die da an den Tag gelegt wird, einen selbst letztlich in genau diesen Abgrund zieht – dass dagegen nur mehr Munition und das größere Kaliber wirksam sind.
Nachdem wir den Flug hinter uns gebracht haben, verbringen wir die nächsten zwei Abende mit und bei guten Bekannten in Stellenbosch und Tulbagh – Leute, die wir auf den vergangenen Südafrika-Reisen mit unserem Land Rover namens „Nr. 5“ kennen und schätzen gelernt haben. Beeindruckend, wie diese sich engagieren, einem das Land und seine speziellen Lebensumstände zugänglich zu machen. Etwas, was für viele Südafrikaner gilt, die wir bislang getroffen haben.
Im Animal Sanctuary der Fynbos Guest Farm halten wir uns einen halben Tag auf, übernachten auf der Fraaigelegen Guest Farm – beide hatte ich im April kennengelernt. Unser Ziel ist diesmal die oberste nordwestliche Spitze Südafrikas – das UNESCO-Weltkulturerbe Richtersveld gilt auch den Einheimischen als very remote und wird nur von entsprechend Abenteuerlustigen und Ausgestatteten angesteuert, was bedeutet: 4×4 und high clearance ist ein Muss; sowie die Bereitschaft, eventuell einen fahrzeugtechnischen Totalverlust zu ertragen.
Der Ai-Ais-Richtersveld National Park überlappt das Grenzgebiet von Namibia und Südafrika, und dementsprechend sieht es auf den beiden Seiten der Grenze landschaftlich sehr ähnlich aus – eine semi-aride Bergwüstengegend mit besseren und schlechteren Schotterpisten und immer wieder krickeligen 4×4-Trailpassagen. Um dorthin zu gelangen, muss man freilich erst mal rund 800 Kilometer auf der asphaltierten N7 hinter sich bringen – und das ist in einem Rutsch vom südlichen Westkap nur möglich, wenn man früh genug aufsteht.
Das schaffen wir natürlich nicht, und so brettern wir vor Einbruch der Dunkelheit 80 Kilometer Schotterpiste zur Westküste raus, um in Hondeklipbaai das Nachtlager auf einem dortigen Caravan Park zu beziehen. Laut unseren Ratgebern, den Apps „iOverlander“ und „Tracks4Africa Guide“ sollte das möglich sein, und ein bisschen Meeresrauschen muss ja auch mal sein.
Zum Einmaleins des Fernreisenden gehört, niemals im Dunkeln zu fahren – aus Sicherheitsgründen; den Problemen, die eine Panne mit sich bringen könnten; weil man im Dunkeln Schlaglöcher und andere Hindernisse – in Marokko gerne mal unbeleuchtete Eselskarren – zu spät erkennt… Außerdem ist man in der Regel nicht auf der Flucht und sollte Zeit haben, gemütlich das Fahrzeug in Schlafzimmer und Küche zu verwandeln, sein Abendmahl zu bereiten und beim unausweichlichen Lagerfeuer bzw. Braai den Tag Revue passieren zu lassen.
Freilich: Die Pandemie hat es sich mit sich gebracht, dass der Caravan Park nicht nur trostlos, sondern auch ganz und gar geschlossen ist. Während wir uns nach einer Möglichkeit zum wild campen umsehen, werden wir einer niegelnagelneuen, sehr hübsch und mit Liebe zum Detail gestalteten Campsite gewahr – die wir als einzige Gäste beziehen.
„Hondeklipbaai ist ein Fischerort an der südafrikanischen Atlantikküste in der Lokalgemeinde Kamiesberg im Distrikt Namakwa. Im Jahre 2011 hatte er 543 Einwohner mit 189 Haushalten“,…
https://de.wikipedia.org/wiki/Hondeklipbaai
…erklärt uns die Wikipedia; ein Rundgang durch das, was man klischeehaft „verschlafenes Fischernest“ nennt, zeigt schwarz angerußte Ruinen von Hafen-Gebäuden, die einmal eine Funktion im Rahmen der Fischerei hatten und eine gewaltige Brandung geradezu eisig kalten Wassers. Der namensgebende Felsen nahe der modernen Polizeistation könnte mal wie ein Seehund ausgesehen haben – aber mittlerweile ist ein Teil des Felsen abgebrochen.
Donnergrollen und Meeresrauschen
In der Nacht werden wir Donnergrollen hören – das sich als herannahende Dune Buggys entpuppt, denen gegen Kälte und Sand vermummte Gestalten entsteigen, die einem Apokalypse-Film entstammen könnten. Sie sind aber sehr freundlich und zeigen sich begeistert vom Zeltdach unseres Defenders – wir erleben das nicht zum ersten Mal und auch, dass die Konstruktion des wie eine Muschelschale nach oben klappenden Daches („Pop-up-rooftop-tent“) mit der Liegefläche darunter vielen Südafrikanern fremd ist. Die sind eher die typischen Dachzelte – also Zelte, die auf Dachträgern montiert sind und über eine außen stehende Leiter erklommen werden – gewohnt.
Die Jungs – nein, Mädels sind wohl keine darunter – ziehen dann mit ihren Dune Buggys und Bodenzelten doch ab. Wir werden sie am nächsten Morgen direkt am Strand wiedertreffen, wo sie ihr Nachtlager aufgeschlagen haben. Ein Glück für uns, die Nacht wäre sonst laut geworden. So aber lässt der Wind den Land Rover sanft schaukeln und die Zeltbahn sacht flattern, dazu ertönt das Meeresrauschen der Brandung in wenigen hundert Meter Entfernung. Ich fühle mich wie in einem Boot im Hafen – für mich das perfekte Schlaf-Mittel.