Beim Stichwort „Überwintern“ im Süden habe ich das Wort „Winter“ nicht wirklich wahr oder ernst genommen. Ich habe nur in Richtung Süden gedacht, aber nicht daran, dass es auch irgendwann mal wieder nach Norden geht. In den Ort, an dem ich mich nach wie vor überwiegend aufhalte. Also – das Rhein-Main-Gebiet.
Portugal verlassen habe ich am vergangenen Sonntag, die Rück-Fahrt hat vier Tage bzw. vier Übernachtungen gedauert. Zu Beginn durch Algarve und Alentejo durch Korkeichen- und Eukalyptus-Wälder, Olivenhaine und Weinstöcke, an schwarzen Schweinen und braunen Rindern mit langen Hörnern vorbei. Eine Landschaft, in der man noch Wochen und Monate verbringen könnte ohne sich satt zu sehen und satt zu fühlen.
Schlaflied der Lkw-Motoren
Der Übertritt nach Spanien auf einer Landstraße ohne ihn wirklich zu bemerken: Ein Europa der offenen Grenzen ist eine großartige Sache. Trutzburgen, Wäder und Felder entlang der Strecke durch Extremadura nach Badajoz, von da an weiter über die Hochebenen gen Salamanca bis ins – abermals verregnete und grauwolkige Baskenland, die Städte und Dörfer, Industrieanlagen und Autobahnen eng in die Täler gepresst. Übernachtungen auf Rastplätzen, die von Truckern bevorzugt werden, der Unimog und sein Lenker fühlen sich in deren Umgebung wohl: Die brummenden Lkw-Diesel singen ein sonores Schlaflied.
Auch von den Lkw-Fahrern gibt es immer mal wieder einen anerkennenden bis begeisterten Blick auf den Grünimog, gar eine „Daumen hoch“-Geste. Im Verhältnis zu den Sattelschleppern ist der Unimog mit seinen sechs Metern Länge zwar winzig, aber offensichtlich doch akzeptiert. Tatsächlich scheint das Pupsen der Druckluftbremse klarzustellen: Ich bin einer von euch!
Fahren als Meditation
Beinahe durch die ganze iberische Halbinsel bieten die Autovia A-66 und A-62, kostenfrei mit 80 km/h Höchstgeschwindigkeit vorwärts zu kommen. Das bedeutet, dass ich rund acht bis neun Stunden für 600 Kilometer benötige. Man hat viel Zeit nachzudenken, das Fahren als immer langsamstes Fahrzeug auf der Strecke hat was Meditatives.
Kilometer um Kilometer wird es etwas kälter. Nach der Übernachtung im baskischen Hernani, etwa 20 Kilometer vor der Grenze nach Frankreich in Irun, ist das Dach des Unimog-Wohnkoffers mit Eis bedeckt,der Boden, wo Wasser abgelaufen ist, auch. Mir dämmert zum ersten mal: Es geht zurück in die Eiseskälte Mitteleuropas.
An Bordeaux vorbei führt die teure französische Autobahn – der Unimog kostet doppelt so viel wie ein Pkw – gen Clermont-Ferrand in die Höhenlagen der Auvergne. Das Asphaltband sauber geräumt, immer wieder Räumfahrzeuge zu sehen, aber ringsum türmt sich Schnee.
Die Überlegung dringt ins Gehirn, dass die Militärreifen des Fahrzeug, die eine vage M+S-Kennung aufweisen, so alt wie es selbst sind, die Gummi-Mischung daher vermutlich bretthart, abgesehen ist das Profil abgefahren runtergefahren. Und wenn sich siebeneinhalb Tonnen bergunter rutschenderweise in Bewegung setzen, nutzt der Allradantrieb auch nichts, genausowenig wie die enorme Bodenfreiheit und all das, was dem Unimog seine Hochgeländegängigkeit beschert.
Umweg durch die Vogesen
Ein Navigationsfehler bringt mir obendrein rund 100 Kilometer Vogesen-Landstraße und -Bergsträßchen ein, durch die ich nächtens nicht ohne Bange endlose Kurven und Spitzkehren und durch leblose Dörfer bei Schnee-Schnee-Schnee ringsum kurbele. Der Motor leckt etwas Öl (keine Ahnung, wie groß der Verlust ist), die schon mal gebrochenen Federn des Gaspedals knirschen, die Lenkung quietscht, es ist so kalt, dass der Motor keine ausreichende Abwärme mehr für die Heizung im Fahrerhaus produziert; und ist der Sprit, den ich zuletzt getankt habe eigentlich Winterdiesel?
Und mitten in der kalten Winter-Nacht irgendwo im mittelgebirgigen Nirgendwo liegen zu bleiben, ist nicht so lustig.
Mit der Lodenkotze am Steuer
Ich sitze also mit Sealskinz-Handschuhen, Alpaka-Wollsocken, Stiefeln, Salewa-Softshell und 66North-Jacke samt Loden-Überwurf hinterm Steuer. Das wird sich zwei Tage eigentlich nicht ändern. In Deutschland übernachte ich auf dem erstbesten Autohof; Hauptsache in der Nähe einer Tankstelle.
Klug gedacht: Der Abwasserbehälter ist sowieso schon längst eingefroren; nachdem die letzte Gasflasche sich vor dem Zubettgehen als geleert meldete, gibt es kein Gas für Heizung und Kochen, wodurch während der Nacht bei minus zehn Grad auch der Frischwassertank zufriert. Gut, wenn man sich in der Rückschau Bilder wie diese ins Kopfkino holen kann:
Ich schlafe unter drei Decken wohlig warm, das Thermometer gibt freilich morgens beim Aufwachen minus vier Grad an. McDonald’s mag des Teufels sein, aber in der Not frisst der Teufel fliegen, und Kaffee und Käsetoast im Warmen sind Klasse. Wie Tags zuvor schon springt der Unimog-Motor mit seinen sechs Zylindern und sechs Litern Hubraum nur sehr zögerlich an; ist immer eine Frage, wieviel Anlass-Gejuckel die Starter-Batterien bei dieser Kälte mitmachen…
Noch ein paar hundert Kilometer am Schwarz- und Odenwald vorbei nach Hause: Nach letzlich viereinhalb Tagen bei rund neun Stunden Fahrt täglich, vom südwestlichsten Zipfel Europas, rund zweieinhalbtausend Kilometer. Vor allem: Nach dem vierwöchigen „Überwintern“ zurück in den Winter. Der Unimog steht in seiner Halle, ein Heizlüfter hilft, ihn wieder aufzutauen. Ich habe den Eindruck, mich zu Hause nie wieder heimisch zu fühlen.