Ende und Anfang. Nach dem Acht-Schilde-Modell ist alles ein Kreislauf, kein Anfang, kein Ende; kein Ende, kein Anfang. Für die frischgebackenen Coyote Mentoren ist das “wilde” Jahr vorbei, sie werden im sechsten und abschließenden Modul der Wildnispädagogik-Ausbildung “ausgewildert” in einen neuen Anfang.
Walk on your own feet.
Zuvor stellten wir unsere Abschlussprojekte vor: Darunter findet sich eine verbesserte Technik zum Feuerbohren und die Organisation eines Naturtages für Gruppen, die Fertigung von Graskörbchen, Mokassins, Pilzpapier, Jagdbogen, Brot aus Bucheckern, Natur-Kosmetik und -Hygienemitteln. Auch: Was man alles mit der Birke machen kann. Und anderes mehr.
Speerschleuder – Atlatl – Woomera…
Z.B. einen Atlatl – das ist der südamerikanische Name für das zweieinhalbälteste Jagdgerät der Welt, in hiesigen Regionen als Speerschleuder bekannt. In Australien als Woomera. Zuvor gab es das Wurfholz, dann den Speer. Es sollte weitere tausende Jahre dauern, bis jemand den Bogen erfand.
Auf verschiedenen Kontinenten sind somit frühe Menschen früh auf die Idee gekommen, dass man Reichweite und Durchschlagskraft eines Jagd-Speers spürbar erhöhen kann, wenn man ihm eine Art Turbo-Effekt verpasst.
Der Effekt besteht nicht in künstlicher Beatmung, sondern darin, den Speer – der als Jagdgerät eigentlich ein sehr langer Pfeil ist – über ein Hebelwerkzeug zu schleudern bzw. ihm einen abrupten Beschleunigungs-“Kick” zu geben. Nach Art eines Katapultes etwa.
Dazu fertigt man aus einem gerade oder auch leicht gebogenen Ast, etwa so lang wie der eigene Unterarm, eine Schleuder, an deren Ende einer Spitze montiert wird, die ins Ende des Speers gesetzt wird. Ich nutzte ein Rehgehörn, dass ich mit (modernem) Kleber statt dem historisch verwendeten Birkenpech sowie am leicht hochgebogenen Ende des Astes befestigte. Dazu kam eine Lederbandwickelung als Griff gegenüberliegend.
Einen tauglichen Speer herzustellen, war im Grunde schwieriger – denn der muss dünn, lang, und so gerade wie nur möglich sein. Es war eine langwierige Suche, schon während der Pyrenäen-Tour im Sommer hielten wir Ausschau. Haselnuss erwies sich wegen des gerade Wuchses am geeignetsten, auch ist dieses Holz recht hart. Hartholz wie Eibe macht für die Schleuder was her, ist aber nicht unbedingt notwendig – die Schleuder selbst muss nicht viel Belastung vertragen.
Ich stellte drei Versionen her: eine mit in Glut gehärteter Holzspitze, eine mit einer Pfeilspitze, eine mit einem dran gebauten Wurfmesser als Spitze. Eine Speerschleuder ist auch in modernen Zeiten ein Jagdgerät, dass man in einer Survivalsituation oder einer beabsichtigten Wildnistour on-the-go anfertigen kann – wenige Hilfsmittel, die man im Outdoor-Equipment ohnehin mit sich wie führt, reichen. Keinesfalls sollte meine Speerschleuder mit Material aus dem Baumarkt und Werkzeugen einer Schreinerei entstehen.
Außer mit unseren jeweiligen Projekten übten wir uns im Schleichen und geräuschlosen Kommunizieren in einer Gruppe: Wie bleibt man ungesehen, wie bewegt man sich nahezu lautlos, wie verständigt man sich ohne Worte?
Außerdem widmeten wir uns der ökologisch relevanten Aussagekraft von Menge und Mangel zur Erd-Gesundheit und erfuhren wir damit zusammenhängend etwas über die ökologische Bedeutung von Bio-Indikatoren: empfindlichen Wesen, die als erste auf Probleme im Lebensraum reagieren, wie etwa Sumpfschildkröten oder Amphibien. (Mag es Zufall sein, dass “das Amphibium” im Zeichen der Schildkröte unterwegs ist?)
Zuletzt beschäftigten wir uns mit dem Räuchern, dem so genannten smudging als Reinigungszeremonie fürs Ankommen und Beginnen, als Verbundenheits-Ritual eines Treffens, einer Versammlung, eines Palavers. Und wir imitierten im Wald Tiere und ihre Lebens- und Erfahrungswelt – wie Kinder zu spielen, ist ein wichtiges Element des Coyote Mentorings…
Wir bekamen unsere Abschluss-Zertifikate. Und feierten, wie sich für Naturmenschen geziemt, bei nächtlicher Kälte am Tonnenfeuer im tiefen Schnee. Meine Abschlussgeschichte hörte sich dann folgendermaßen an:
Als wir die Übung mit den Tieren, die andere Tiere fressen, im Wald gemacht haben, ist mir folgendes passiert:
Ich ging den Weg entlang, weil ja auch Wildtiere Energie sparen wollen, und daher auch gerne menschliche Pfade nutzen.
Ich hörte Hundegebell, und obwohl ein Fuchs wahrscheinlich eher nicht den Hunden zustrebt, dachte der menschliche Teil in mir Fuchs, dass da ein Beutetier sich wohl zu verstecken sucht und verbellt wird – also orientierte ich mich mit meinen Drumwalk-geschulten „Reh-Ohren“ in Richtung des Gebells…
Ich bog um eine Ecke und weitete den Blick zu den „Eulen-Augen“ – und da kam es mir doch tatsächlich entgehen, auf dem Waldweg: ein Reh!
Ein echtes.
Es verharrte kurz und erkannte sofort den Fuchs in mir! ;-)
Und sprang seitlich ins Gebüsch. Ich wollte es nicht weiter verfolgen – von wegen nicht im Winter und bei Schnee den Energiehaushalt stören – aber nach den Spuren schauen… also „schnürte“ ich weiter in die Richtung.
Und als ich auf die Spuren schaute, sahen meine Eulen-Augen eine Bewegung weiter unten am Waldrand, auf der Lichtung hin zu den Teichen.
Da lief das Reh längs entlang… und sein weißer Fleck am Hintern wirkte wie ein abschließendes Winken!
Ist das nicht ein wunder-volles Abschiedsgeschenk?
P.S.: Ein Dank für die Bilder an Isabelle und Stephan Juncker!