Mikro-Abenteuer I: Uckermark

Wenn man Offroad-Reisen im südlichen und nördlichen Afrika unternommen hat – oder auch in Island, in den Pyrenäen und in der nordgriechisch-albanischen Grenzregion, dann erscheint einem Deutschland als wenig herausfordernd, wenn man mit einem Geländefahrzeug unterwegs ist. Natürlich gibt es Offroad-Parks in meist ehemaligen Tagebaugebieten – aber die sind halt entweder fürs pure Training oder falls man Lust hat, sein 4×4-Auto (und seine Fahrkenntnisse) einem echten Stress-Test zu unterziehen.

Aber ich habe Offroad-Fahren nie als Hobby für sich selbst angesehen, sondern als Mittel zum Zweck – die Fähigkeit zu besitzen, in Gebiete fernab vorzustoßen und dort unterwegs zu sein. Also zum reisen; d.h. Land & Leute zu erfahren. Und nicht, um willentlich sein Auto zu verbuddeln oder aufs Dach zu legen – wie wir es einmal in Andalusien erlebt haben.

Vor diesem Hintergrund gibt es nicht viele Ziele, die man in Deutschland ansteuern kann – was man für ein verlängertes Wochenende, einen Kurztrip oder eben dann, wenn einen die Volatilität der pandemischen Situation daran hindert, ins Ausland zu fahren. Das Trackbook Nord-Ost (Untertitel: 44 Abenteuer-Routen für Vans, SUVs und Off-Roader) widmet sich genau diesem Anspruch: Es skizziert Routen, die im südlichen und nördlichen Afrika nicht als offroad, sondern onroad gelten würden: Feld- und Waldwege, die obendrein für den öffentlichen Verkehr zugelassen sind.

So was firmiert heutzutage unter dem Rubrum „Mikro-Abenteuer“. Und ja, warum sich nicht einmal drauf einlassen? Zumal, wenn die Autoren des Buches Strecken vorschlagen, die zu fotografierfähigen Lost Places bzw. Abandoned Places bzw. Urban Decay führen. Die finden sich natürlich vermehrt in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, besonders in der Uckermark – also packen wir den Ford Ranger, Fotoapparate und das Buch ein; und los geht’s.

Der 2009er Ford Ranger mit aufgesetzter Wohnkabine ist für so eine Spritztour ideal, verbindet er doch eine Offroad-Fähigkeit, die weit über die Anforderungen deutscher Feld- & Waldwege hinausgehen bei gleichzeitigem US-amerikanischen Fahrkomfort auf deutschen Schnellstraßen. Man überwindet also die Transferstrecken zu den eigentlichen Zielen flott und bequem; gleichzeitig ist das Fahrzeug relativ kompakt und wendig.

In der Uckermark fährt man bisweilen kilometerlang durch Wälder, in denen sich unversehens einzelne Orte finden, die nur aus zwei bis drei Häusern bestehen. Und immer wieder an Seen entlang. Zielorte sind verfallene Schlösser oder Landgüter, Kasernen und Militärgelände, Krankenhaus-Komplexe u.a.m – vornehmlich in einem Gebiet südlich von Templin, rund um die Schorfheide gen Müritz, da wir nicht so viel Zeit mit den Transfers weiter gen Südosten bzw. Nordosten (etwa Rügen) verlieren wollen.

Und tatsächlich erleben wir West-Bürger manche Überraschung: Schmale Straßen, die aus weitläufig verstreut liegenden Örtchen hinausführen, ein beinahe zugewachsenes Ortsausgangsschild passierend, um dann auf einem Weg aus erosionszerfressenen Betonplatten zum nächsten Örtchen zu rumpeln. Der ich einige Zeit im Vogelsberg gelebt habe, frage mich, ob es solcherlei Rustikalität einer stinknormalen Ortsverbindungsstraße dort auch gegeben hat oder ich sie nie wahrgenommen habe…

„Offroad-“technisch bewegen wir uns auf ausgefransten Asphaltpassagen, Kopfsteinpflaster, typischen Feld- und Waldwegen mit mal mehr, mal weniger Sand (aber nie so viel, dass man von Tiefsand wie in Nord- oder Südafrika reden könnte). Zu Recht verweist der Untertitel unseres Guidebooks auf „Vans, SUVs und Off-Roader“ – in dieser Reihenfolge; die Verfasser selbst sind mit einem ganz normalen VW Bus unterwegs gewesen, und allenfalls bei starkem Regen könnte die ein oder andere Passage so verschlammt sein, dass es für ein 2×4-Fahrzeug schwierig werden könnte.

Die meisten Pisten sind kaum länger als ein Dutzend Kilometer, manche weniger, manche mehr. Wir fahren am Militärgelände des umstrittenen „Bombodroms“ in der Wittstocker Heide und am DDR-KKW bei Rheinsberg entlang, passieren Angela Merkels Datsche und Hermann Görings „Carinhall“ und besuchen eine der Ausweich-Landepisten für das sowjetische Space Shuttle „Buran“ (auf dem heutzutage Nobelmarken ihren edlen Fahrzeuge von betuchter Kundschaft ausfahren lassen und Hobby-Rennfahrer die Grenzen ihrer Motorräder und ihrer Fähigkeiten austesten; Fotos siehe nachstehend).

In der Schorfheide findet sich dann noch die Jagdhütte „Wildfang“ von Erich Honecker, und um die Fahrt durch die jüngere deutsche Geschichte rund zu machen, marschieren wir noch zu einer verfallenen Russen-Kaserne im Wald. Im ehemaligen Kloster Himmelpfort am Stolpsee kommen wir am Weihnachtsmann-Postamt und einem entspannten Jazz-Picknick vorbei. Die Übernachtungen dort wie am Wollitzsee und an anderen Orten, wo Camping erlaubt ist oder toleriert wird, folgt der Standard-Erfahrung: Da wo Menschen sind, herrscht (Party-)Lärm bis ins Morgengrauen.

Am Wollitzsee ziehen wir etwa nach einer Nacht auf dem Campingplatz (nach vorherigem Erkunden des Sees mit unseren Stand-up Paddling-Boards – SUP – und einiger Zeit im Strandbad) auf die nahegelegene Anhöhe oberhalb des Parkplatzes um. Ein Glück, nicht nur ist es dort ruhig, sondern auch lernen wir einen anderen Wildcamper kennen: Paparazzo, so der Instagram-Name meines Namensvetter Oliver, ist Fotograf, stammt aus Berlin und will mit Freundin Ines in einem ausgebauten VW Van in den kommenden Jahren zur Weltreise aufbrechen. Wir bleiben in Kontakt.

Dass das freie Stehen mit einem als Wohnmobil definierten Fahrzeug auch das nörgelige Interesse der Ordnungsbehörden auf sich ziehen kann, erleben wir an einem anderen See. Deren örtlicher Vertreter will uns auf eine offizielle Wohnmobil-Stellfläche verweisen, wo lauter Kastenwagen und groß dimensionierte Weißware stehen. Dass der Ranger zwar nominell Wohnmobil ist, faktisch aber nicht mehr Parkfläche – und darum geht es eigentlich – als eine BMW- oder Mercedes-Limousine beansprucht, will er nicht gelten lassen.

Auf dem Rückweg gen Süden lassen wir es uns natürlich nicht nehmen, bei den Beelitz-Heilstätten vorbei zu schauen – den Tipp hatten wir von einem Vater bekommen, der uns am Wollitzsee mit seinem von unserem Fahrzeug begeisterten Sohn ausgefragt hatte. Die früheren Lungenheilanstalten – Bilder dazu siehe vorstehend – kann man per Führung, aber auch im Alleingang besichtigen.

Alles in allem beeindruckt uns die Landschaft der Uckermark, die Ruhe, die Zurückgezogenheit, die Zurückhaltung und Freundlichkeit der Menschen. Von 44 Touren des Trackbocks Nord-Ost haben wir etwa ein Viertel absolviert; für die an der Küste werden wir gerne noch einmal das Buch in die Hand nehmen und gen Norden steuern. Und mittlerweile haben wir auch das Trackbook Nordbayern erworben.


Trackbook Nord-Ost, 44 Abenteuer-Routen für Vans, SUVs und Off-Roader, von Melina Lindenblatt & Matthias Göttenauer, experience Gmbh Fulda, ISBN 978-3-00-0657382.