Eine frühe Erkenntnis: Spontaneität ist großartig, Planung nicht unerheblich. Zumindest, wenn es in Richtung touristisch relevanter Binnen-Ziele geht, ist es von Vorteil, lokale und regionale Frei-Zeiten zu kennen. Sonst steht man vor voll gestellten Camping- und Wohnmobil-Stellplätzen.
Die Coronavirus-Pandemie lässt grüßen. Eine ihrer Folgen war und ist der Womo-Boom, der zumindest in den leicht erreichbaren und populären Zielregionen die vom passionierten Vanlifer gefürchtete Weißwaren-Welle tsunami-artig anschwellen und heranschwappen lässt. Camping ist ja so schön abenteuerlich, individuell, frei, familien-freundlich und hygieneregel-kompatibel. Dachten und denken viele, unterfüttert durch entsprechende Werbeversprechen.
Das hätten wir im April schon entlang der deutschen Ostseeküste zwischen den Inseln Poel und Usedom merken können. Eines wurde schnell klar: Wild & frei campen ist in Deutschlands reglementierter Welt kaum möglich. Wenn, dann in the hinterland, aber gewiss nicht dort, wo alle hinwollen. Keine Handbreit Küste in Sicht. Und wenn es selbst ein Film wie „Nomadland“ nicht schafft, die Illusionen übers „freie“ Leben auf dem roadtrip auszuräumen, sondern widersinnigerweise gar noch befördert…
Wir hätten es wissen müssen. Aber, Spontaneität halt. Planung ist böse. Voll Vanlife, also voll drauflos. Im Mai. An den Bodensee. Kannten wir noch nicht, schien ein schönes Gegenstück zur Ostsee zu sein. Vom hohen Norden in den tiefen Süden. Statt Flachland Berge in der Nähe, diese Alpen-Dinger. Maultaschen statt Fischbrötchen. Schien eine großartige Idee zu sein, den um-aus-gebauten T5-VW-Bus einem weiteren Live-Test zu unterziehen, bevor er sich in anspruchsvollerem Terrain rund ums Mittelmeer bewähren soll.
Wir haben keine Kinder. Der Blick auf den Ferienkalender fehlt uns völlig. Hat’s im nördlichen oder südlichen Afrika auch nie gebraucht. Abgesehen davon: In Hessen hat’s keine Pfingstferien. … In Bayern und Baden-Württemberg schon. Und schon kann man eine Menschenkette rund um den Bodensee aufstellen. Samt Womos.
Das liest sich in den Tages-Notizen so:
Fr., 10.06.22
Abfahrt 19 Uhr, um 21 Uhr sind wir zur Zwischen-Übernachtung in einem Ort namens Muggensturm, nahe der Autobahn gen Freiburg. Dort gibt es fünf offizielle Womo-Stellplätze (schon belegt mit Weißware samt aufgestellten Satellitenschüsseln). Nette Nachbarmädels erzählen uns, dass der nette Platzwart namens Peter ihnen gesagt habe, man solle sich von der Polizei nicht verscheuchen lassen; er habe mit dem Ortsbürgermeister ausgemacht, dass weitere Fahrzeuge Platz finden dürften.
Also dann. Zwischen mehrere weitere Bullis rückwärts mit respektvollem Abstand eingeparkt; man will ja keiner dieser von Vanlifern gefürchteten Kuschel-Camper sein, der anderen eng auf die Pelle rückt. Angesichts eines jahreszeitgemäßen 16-Stunden Tages hellen Lichtes ist es erst gen 23 Uhr dunkel. Aber das hält einen späten Kastenwagenfahrer & Kuschel-Camper nicht ab, sich noch dazwischen zu quetschen und die seitliche Schiebetür schwungvoll ins Schloss rauschen zu lassen (anderntags frühmorgens ebenso, Hund muss Gassi).
Das war ein Zeichen.
Sa., 11.06.22
Sehr schön geschraubte & geschlängelte Fahrt durch den Hochschwarzwald. Das nächste Zeichen: Die Park4Night-App ist die Pest; schlichtweg Opfer ihres Erfolges. Nicht die App selbst, sondern wer sie nutzt. Früher mal ein Geheimtipp, heutzutage ein Garant für Womo-Fülle an vormaligen Geheimtipps. Wird in ihr ein Stellplatz gepriesen, sollte das eher zum Umfahren führen.
So erweist sich ein Wander-Parkplatz als vom Bauamt gesperrt. Seit wenigen Tagen! Vermutlich in Erwartung eines Ansturmes zur Ferien-Saison. Der Campingplatz am Schluchsee, den wir aus rein nostalgischen Gründen angesteuert haben, ist proppenvoll und ausgebucht.
Abends also entnervt zum Womo-Stellplatz im Ort Schluchsee. Eigentlich nur ein schnöder Parkplatz nahe der viel und laut von Penisautos und Motorrädern befahrenen Straße: Hier wird das Recht auf freie und ungebremste Lärmbelästigung mit Hingabe ausgeübt.
Uniforme Weißware in ordentlicher Reihenaufstellung künden von großer Freiheit & Individualität. Volltätowierte & Burkinis geben sich ein Stelldichein, drei und drei auf Bänken getrennt. So sieht gelebte Toleranz aus. Aber der Wirt der Uferkneipe serviert supernette Pommes. Nachts natürlich parkt ein Nachzügler diesellaut ein und baut auf. Gesprächsbedarf hat die Besatzung nach der langen Fahrt auch. Womo-Rumore und Straßenlärm. What a night!
So., 12.06.22
Vom Schluchsee geht’s sommerlich gen Schaffhausen, zum Rheinfall,…
<das übliche Wortspiel dazu ist was für die, die nach dem Abitur „irgendwas mit Medien“ machen wollen und sich fortan „Journalist“ schimpfen. Die Legende erzählt, dass zu Zeiten der Gründung der links-alternativen Tageszeitung, kurz taz, ein frisch gebackener Mitarbeiter seiner Mutter stolz schrieb: „Früher wusste ich nicht, wie man Schurnalist schreibt – heute bin ich einer!“>.
… wo der örtlichen Tourismusbranche nach zwei harten Corona-Jahren ihre nachholenden Verdienste gegönnt sei. Na ja, immerhin ist Wochenende, denken wir uns, da sollte man sich nicht wundern. (Von den Ferien wissen wir zu diesem Zeitpunkt immer noch nichts). Und auf Touristen ist in Hitze-Umgebung immer Verlass, egal ob am Totentempel der Hatschepsut oder am Rheinfall: Kurz gucken, knipsen, dann ab in den Schatten. So haben wir die Aussichtsplattform auf dem Felsen mitten im Rheinfall fast die ganze Zeit für uns alleine, während die anderen Teilnehmer der Bootsfahrt dorthin schon unten am Anleger warten.
Zwei Campingplätze auf dem Weg gen Überlinger See verweigern weitere Übernachtungsgäste; in Bodman quetscht man uns gefühlt Pobacke an Pobacke mitten in eine Bulli-Parade. Total voll, total eng, total laut wg. naher Eisenbahn & Straßen-Baustelle. So also verbringt man also die schönste Zeit des Jahres. Aber es gibt einen Gott oder wenigstens ausgleichende Gerechtigkeit: Wir haben zur linken und zur rechten nette und leise Nachbarn (unserer Altersklasse). Und Super-Sicht aus der hochgeklappten Heck-Tür auf den See zu unseren Füßen. So stellt man sich das Bulli-Leben vor.
Diese unsere Nachbarn weihen uns in das Geheimnis der bayerischen und baden-württembergischen Ferien ein! Ergo: Man muss den Schulferienkalender beachten! Diese Erkenntnis trifft uns nach zehntausenden Kilometern in Island, Spanien, Portugal, Griechenland, Marokko, Namibia und Südafrika wie ein Blitz. Ergo II: Der Stellplatz auf dem Campingplatz in Bodman ist gar nicht so schlecht; es kann nur schlimmer werden. So bleiben wir gar eine weitere Nacht, schwimmen im See und machen das, was wir im Plum Village-Jargon lazy day nennen.
Di., 14.06.22
Wenn wir schon in der Gegend sind, schauen wir uns Stein am Rhein samt Burg Hohenklingen an. Das ist so Ort, wo die Ortsansässigen wahrscheinlich nicht mehr wissen, ob die Touristen Segen oder Fluch sind. Sie verstopfen alles, aber sie bringen Geld.
Natürlich sehen wir uns das Pfahlbauten-Museum in Unteruhldingen an, und ich kann es nicht unterlassen, in den Erinnerungen an mein Japanologie-Studium zu kramen und mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern über gewisse ähnliche Aspekte des stein- und bronzezeitlichen Lebens am nördlichen Bodensee und südlichen Japans zu fachsimpeln.
Übrigens, damals schon, so dreitausend bis tausend Jahre v. Chr., da wie dort, haben Migranten bedeutende Überlebens- und Kulturtechniken mitgebracht; im Falle des Bodensees via Donau aus dem, was heute Italien ist. Im Falle Japans aus dem, was heute Südkorea ist.
Wir finden einen ruhigen Nachtplatz ganz für uns alleine oberhalb des Bodensees; auf einer Wiese eines geschlossenen Landgasthofs, der auf einem Schild höflich um Meldung per Telefon und Deponierung einer kleinen Euro-Summe im Briefkasten bittet. Die hinterlassen wir natürlich, denn uns geht es bei dieser Art des Reisens ja nicht ums Knausern.
Mi., 15.06.22
Weiterfahrt über den „Affenberg“ Salem, der durch Kinder-Belustigung und Störche zu beeindrucken wusste – wir haben den Besuch dann lieber ausgelassen, die Störche umschwirrten einen auch so. In der Luft wie auf dem Boden. Mit Affen sind wir in Südafrika in sehr engen Kontakt gekommen…
Als Bub war ich der Fliegerei verfallen, und deswegen führt kein Weg an Friedrichshafen und zwei dortigen – jeweils beeindruckenden – Museen vorbei: dem Dornier– u. dem Zeppelin-Museum.
Wie nicht selten, kommen wir etwas zu spät für die Fülle des Gebotenen. Jetzt müssen wir noch mal in die Gegend: Pfahlbauten, Flugzeug, Luftschiff – alles mit mehr Zeit und Ruhe.
Wir übernachten auf einer Wiese eines Schnapsbrennerei-Gasthofs außerhalb von Friedrichshafen, samt Gratis-Pferdeschnauben. Kosten entstehen in Höhe eines geschmack- & freudvollen Abendessens im Außenbereich. Die anderen Gäste gehen früh nach Hause oder ins Bett. Ländlich-nächtliche Stille umgibt uns.
Do., 16.06.22
Na, wenn schon, denn schon; bisher fuhren wir ausschließlich am Rande des Bodensees, jetzt geht es einmal längs drüber: Mit der Katamaran-Fähre von Friedrichshafen zum Bummel in die Konstanzer Altstadt, die bei Menschen osteuropäischen Zungenschlags, bzw. mit Neigung zum Tragen von Kopftüchern, auch Kunst-Schaffenden sowie Bettlern an diesem Tag sehr beliebt zu sein scheint. Das gibt ein schönes Gemisch. Die Rückfahrt nach zwei Stunden dauert auch eine Stunde.
Eine weitere Dreiviertelstunde auf dem Wasser quert eine Fahrzeugfähre den Bodensee von Friedrichshafen ins schweizerische Romanshorn. Wenn man den Berggipfeln dieses Alpen-Dings schon so nahe ist, möchte man noch näher kommen. In abwegigen Gefilden würden wir Google Maps niemals nutzen, in europäischer Umgebung ist die Einstellung „Autobahn + Mautstraßen vermeiden“ eine vortreffliche Wahl für die aberwitzige Routenführungen.
So landet der Allrad-Bulli mit Höherlegung & Gelände-Fahrwerk irgendwo auf einem immer schmaler werdenden Waldweg, der uns schließlich doch zur Umkehr veranlasst. Wir finden dennoch unseren Übernachtungspunkt bei Cornel auf seiner Straussenfarm mit Kühen & Ziegen samt Discogolferei und einem fantastischen alkfreien Apfelwein. Vom Besitzer erhält man dazu gratis Geschichten über die Schwierigkeiten des bäuerlichen Landlebens, wenn Menschen mit dem Wunsch des Verzehrs von Tierprodukten vielfältiger Art auf Menschen mit Tierschutzgedanken stoßen. Vor allem, in ein und derselben Person.
Menschliche Fleischfresser, das haben wir häufig erlebt, werden nicht gerne daran erinnert, wie und unter welchen Umständen ihre Leibspeise in agrikultureller Produktion zustande kommt. Deswegen hat Cornel Besichtigungen seines Hofes einen Riegel vorgeschoben. Da er aber eigentlich nichts zu verbergen hat, dürfen wir alles unbeaufsichtigt erkunden.
Fr., 17.06.22
Ein Blick auf die Karte belehrt, dass der nächstgelegene ernstzunehmende Alpengipfel der Säntis-Berg ist. Auf seine rund 2500 Meter schwebt eine Seilbahn; man kann auch die letzten tausend Höhenmeter ab der Talstation, dem dortigen Restaurant, Hotel und Groß-Parkplatz mit Womo-Stellfläche zu Fuß gehen. Oben Rundblick. Hm, was sonst? Ein weiteres, diesmal geologisches, Museum mit information overload. Schade, dass man das alles nicht auswendig lernen kann.
Wieder herunter parkt neben uns eine Nikotin-Stinkerin mit Kläff-Köter ein; Motto: egal, welches Alpen-Panorama – nicht ohne meine Satelliten-Schüssel. In die Ferne zu reisen ist toll, aber es muss wie daheim sein! Da machen wir uns lieber zu einer Rundwanderung samt ein wenig Kraxelei zu einem verbliebenen Harschschneebrett am Fuß des Berges auf.
Als ausgebildeter Wildnispädagoge ist man ja automatisch eine Art Natur-Romantiker, also habe ich mich gefreut, als eine Herde Kühe mit Glocken um den Hals die gegenüber liegende Wiese betrat. Die können uns schön in den Schlaf läuten, dachte ich. Das Ergebnis war ein kakophones Gedröhne in extremo und es blieb nur die Hoffnung auf die Nacht. Kühe mit Glocken müssen ja auch mal vom Fressen ausruhen, verdauen, schlafen. Tun sie aber nicht, jedenfalls nicht alle auf einmal, bestenfalls in Schichten. Kurzum: Die ganze Nacht wurde irgendwo schräg gegenüber gebimmelt und geläutet und gedröhnt…
Ruhig dagegen waren die Roboziegen. Wir haben uns gleich gedacht, dass an denen was faul war, wie sie da an Tesla-Ladegeräten lagen. Wieder so eine mörderische Bill Gates-Nummer! Aber wir haben’s durchschaut, dass sie Roboter-Ziegen mit KI sind, die der Tourismusverband unterhält, um die Touristen mit abgasfreien Ziegen in Alpen-Idylle zu versorgen. Na, und wenn denen der Akku ausgeht, dann gehen sie wie unser heimischer Saugroboter von selbst zur Ladestation hinterm Hotel. Da liegen sie dann im Schatten, ist ja klar, der Akku überhitzt sonst, und die Stromanschlüsse führen direkt in den Hintern – kann man auf einem der Fotos hier deutlich sehen!
Wendekreis der Penisautos
Und da müssen selbst die Autos von Elon Musk der Macht der Roboziegen weichen und können nicht Strom tanken. Die Roboziegen halten den Tankplatz eisern besetzt! So weit ist es schon!
Der Groß-Parkplatz samt angeschlossenem Womo-Stellbereich, Gebühr per App zu bezahlen, wird sich dann als Wendekreis tiefer gelegter Penisautos (und – Motorräder) erweisen. In Plum Village-Diktion würde man sagen: Wie sehr müssen diese Menschen innerlich leiden, dass sie das Dröhnen und zur-Schau-stellen frisierter Motoren so nötig, so offensichtlich gar nichts anderes in ihrem Leben haben.
Sa., 18.06.22, + So., 19.06.22
So, Schluss damit. Herab vom Schweizer Berg übers österreichische Bregenz und die dortige Seebühne (wegen Opern-Proben gesperrt) überwiegend via bayerische Landstraße ins deutsche Bad Kissingen zur Abenteuer+Allrad-Messe. Die steht uns eigentlich bis zum Hals, da ist nix neues mehr zu entdecken und vor allem ein Anlass für viele Besucher, Unmengen an Alkohol beim Verzehr verbrannter Tierkadaver zu vertilgen.
Vor allem aber: Sagenhaft viel von dem angebotenen Klein- wie Großzeug kann man selbst bauen, oder mit rasant kostengünstigeren Produkten aus dem Baumarkt improvisieren. Oder, besser noch: braucht man überhaupt nicht. Schade, dass sich die Offroad-Camper-Szene mehr und mehr der Weißware-Womo-Szene anpasst – reisen ja, aber nur mit Eigenheim-Komfort. Wir bewundern mittlerweile die letzten wahren Reise-Freaks: die zu Fuß oder per Fahrrad.
Party, Prostituierte und PS-Protze
Wir nächtigen auf einem Parkplatz an einer Sporthalle außerhalb der eigentlichen, legendären Camp Area. Natürlich – das gibt eine unruhige Nacht mit kreisenden Schwanzverlängerungsautos auf der Suche nach Party, Drogen, Prostituierten, seelischem Heil durch PS-Protzen oder sonst was.
Dann aber nix wie heim. Die Pflanzen im heimischen wie Gemüsegarten sind angesichts der Hitzewelle am Verdursten. Abgesehen aber wuchern sich Glyzinie, Feige und Wein zu einer Allianz zusammen, um die menschlichen Bewohner zu vertreiben.