Wer meint, ab dem 60. Lebensjahr liege nicht mehr viel vor einem, muss Glück haben und Hannelore Neuffer und ihren Partner Frans van Biljon von der Rooiklip Gästefarm kennenlernen: Hannelore hat vor vielen Jahren Namibia besucht, sich in das Land verliebt und im Alter von 60 Jahren und einem abgeschlossenen bürgerlichen Familien-Dasein noch einmal von vorne angefangen.
Sie kaufte sich vor wahrscheinlich rund/mehr als zehn Jahren die Rooiklip Guest Farm, zusammen mit Frans, Bure in siebter Generation, kurzbehost und tiefbraungebrannt, struppigen Eisgrauhaaren und wildem Bart und mit sonst nix an, aber vormittags in der Lapa das erste Bier vor der Nase. An der Bar geben René und Annegret Kaffee aus, als wir nach der Pistenfahrt vom Spreetshoogte Pass via dem nicht minder grandiosen Gamsberg Pass in Rooiklip ankommen; die Welt-Rucksackreisenden helfen Hannelore & Frans ein paar Wochen oder Monate auf der Farm.
Dies in einer schwierigen Zeit: Seit drei Jahren kein, gar kein Regen mehr, und im Gegensatz zur relativ reichen Okambara Elephant Lodge mit ihren Jagdtouristen haben Hannelore & Frans keine sonderlichen Reserven, um die Nutz- wie die Wildtiere durchzufüttern. Und niemals wird Hannelore es zulassen, dass auf eines ihrer Tiere geschossen wird. Aber jetzt stehen sie vor der unbarmherzigen Entscheidung, notzuschlachten. „Aber was ist Rooiklip ohne seine Tiere?“, ist Hannelore den Tränen nahe. „Linus“, das Bergzebra etwa, oder „Nr. 7“, eine Eseldame.
Die Rooiklip Gästefarm ist eben genau das – sie lebt nahezu ausschließlich von Besuchern. Der Weg, eher ein gewundener Offroad-Trail, zweigt von der in Richtung Küste führenden C26 ab; am Seitenrand stehen Schilder mit der Aufschrift „Highway to Heaven“ und „200 km/h“ (20 wären treffender) u.ä., und Hannelore preist folgerichtig die Campsite im Felsencamp als „Gottes Thron“ – und unrecht hat sie nicht.
Den vorstehenden Karten kann man entnehmen, dass Rooiklip aus dem Haupthaus mit Wohnbereich der Besitzer, Lapa und Gäste-Unterkünften, sowie den Stellplätzen im „Felsencamp“ und den Steinzeit-Unterkünften im „Camp Flintstone“ besteht. Im Khomas-Hochland und unweit der Gamsberg Nature Reserve gelegen, kann man Wanderungen in der Umgebung unternehmen, die einen auch an der Wohnhöhle eines Leoparden vorbeiführen – man kann die Gerippe der gefressenen Beutetiere davor liegen sehen.
Aber keine Sorge! Wie schon erwähnt, das Raubtier scheut das größere Raubtier und als solches ist der Mensch allen Tieren bekannt – und wie Bushmen, Game Ranger und Farmer unisono immer wieder betont haben: Leoparden mampfen lieber Antilopen; was sie nicht mögen, sind Überraschungen. Daher kann man an der Höhle vorbeilaufen, aber sollte seinen Kopf nicht hineinstecken… Vielleicht hält der Bewohner gerade Mittagsschlaf und schreckt hoch. Da wird’s dann gefährlich.
Nach einem prächtigen Sundowner auf dem Gipfel des gegenüberliegenden Hügels gönnen wir uns ein ebenso prächtiges Lagerfeuer – und im Dachzelt zur Nacht liegend bemerken wir, dass ein Stoffschlafzimmer auch seine Vorteile gegenüber einer festen Wohnkabine hat: Sanft flüstert der Wind, flattert der Stoff still, sind ferne Laute der Tiere und Vögel zu hören…
Henno Martin und Hermann Korn waren zwei deutsche Geologen, die während des Zweiten Weltkrieges nicht für die Verbrechen der von ihnen zutiefst verabscheuten Nazis mit-verantwortlich gemacht und verhaftet werden wollten. Sie verbrachten zwei Jahre unter primitivsten Bedingungen in der Wüste nahe des Kuiseb Canyons, und Martin schrieb über die Erlebnisse der beiden Menschen und Hund „Otto“ das Buch „Wenn es Krieg gibt, gehen wir in die Wüste“ – es gilt als Namibia-Bibel schlechthin, da es nicht nur um Geologie, Fauna und Flora der Region geht, sondern gedankentief philosophierten die beiden deutschen Wissenschaftler am Lagerfeuer über Mensch, Natur, Leben, Existenz.
Für mich wäre es Pflichtlektüre an der Schule. In der englischen Ausgabe lautet der Titel aussagekräftiger „The Sheltering Desert“ – und der Henno Martin & Hermann Korn Shelter ist sogar eine Wegmarke auf der touristischen Landkarte Namibias, die wir uns auf keinen Fall entgehen lassen wollten. Der Kuiseb-(Trocken-)Fluss bzw. sein Canyon zieht sich nur einige Kilometer Piste von Rooiklip entfernt dahin, und bald schon stehen wir vor einem steinernen Schild und ein Pfad zeichnet sich ab, den wir am oberen Canyon-Rand beschreiten und schließlich vor den Überresten ihrer ersten Unterkunft stehen.
1991 ist das Buch verfilmt worden – der Film gibt die Grundstruktur der Handlung im Buch wieder, es fehlt aber die philosophische Tiefe und Weite der literarischen Vorlage und bringt das Spannungsmoment der Verfolgung durch die Polizei rein (das es im Buch so nicht gibt). Sehenswert, kann die Lektüre aber nicht ersetzen.
Wir lenken den Hilux wieder auf die schier endlose Schotterpiste und nehmen Fahrt gen Mirabib auf – unser Übernachtungsziel. Mirabib ist eine Campsite auf dem Weg nach Gobabeb nahe des Dünenrandes und dem an diesem verlaufenden Kuiseb – aber ein paar reifenbeanspruchende Kilometer abseits von der schmalen Piste, nachdem man die Touri-Road C14/M36 gen Walvis Bay gekreuzt hat. Wir begegnen nichts & niemandem.
Die Campsite rund um die Felsen in Mirabib entpuppen sich als das nahezu Reduzierteste, was uns in Namibia bislang begegnet ist. Naiv erwarten wir eine Art Rezeption – selbst wenn sie nur ein Bretterverschlag wäre – , und erst ein Schweizer Pärchen, dass seinen Miet-Hilux auf der anderen Seite der Felsen geparkt hat, erklärt, dass es hier nichts & niemanden gibt. Man stellt sich einfach auf eine der Camp-Flächen, die man an Schattendach und Kloverschlag einige Meter abseits erkennt.
Die Nutzungsgebühr ist im Permit für den Namib-Naukluft-Park enthalten. Wir kommen mit Blick auf das weite, steinige und sandige und staubige Nichts und dem Sonnenuntergang darüber im Felsenrund unter. Beim Sundowner gesellt sich ohne jede Scheu ein Hase, dessen Ohren im Wüstenwind tanzen, auf Streichelnähe zu uns. Der Wüstenwind faucht ums Auto und ums Dachzelt und singt das schönste Schlaflied.
BTW: Eine eigenwillige Interpretation des Wüstenwindes nur mit Gitarre liefert die nordafrikanische Westsahara-Band Tinariwen mit dem Stück „Desert Wind“… Wenn man schon nicht das äolische Orginal hören kann:
Da wir im Januar schon die Piste, an der der Abzweig nach Mirabib liegt, gen Gobabeb gefahren sind, fuhren wir zurück, um entlang der Zebra Pan nach Homeb zu gelangen – mit einem Zwischenstopp an einer aufgegebenen Mine, an der noch zahllose Bohrkerne surreale Muster in den Wüstenboden zeichnen. Homeb entpuppt sich dann in unseren eurozentrischen Augen als Ansammlung trauriger und trostloser Wellblechhütten, kaum jemand da.
Dafür erweist sich die dortige Campsite als schattiger Platz inmitten der Bäume, die vom unterirdisch verlaufenden Kuiseb-Fluss mit Wasser versorgt werden – sie ziehen sich am gesamten Dünenrand entlang bis letztlich Walvis Bay. Und dort müssen wir an diesem Tage noch ankommen, denn am morgigen 10. September ist mein Geburtstag und den wollen wir mit zwei Unternehmungen in der Walfischbucht verbringen. Homeb kommt auf den Merkzettel für das nächste Mal.
Aber bis zum bedeutendsten Seehafen Namibias zieht sich die Piste von Homeb nach Gobabeb und weiter noch Kilometer um Kilometer an weiteren Hüttenansammlungen am Fuße der Dünenkette entlang, meditativ ruhen die Hände auf dem Lenkrad, schließlich an Pipeline-Bauarbeiten entlang, schließlich mündet die Piste auf die Asphaltstraße. Walvis Bay ist nah.