Der Weg ist das Ziel – dieser Spruch, zur Plattitüde verkommen, erweist sich als sinnträchtig, wenn man sich in Namibia vorwärts bewegt: „I will go anywhere, provided it be forward“, soll Afrikaforscher David Livingstone gesagt haben. Zwischen einzelnen Destinationen liegen viele, viele Kilometer auf mehr oder weniger guten Schotterpisten. Scheinbar nicht wenigen Reisenden gelten diese als zu überbrückende Notwendigkeiten, bevor man/frau zum nächsten Highlight bzw. Essen kommt. Einer der Gründe, warum wir beharrlich an der Warrior Diet festhalten, ist: Der ständige Zwang zum Essen fällt weg; sie gibt die Freiheit, sich vom Frühstück-Mittagessen-Abendmahl-Dikta(k)t zu lösen. Gottseidank, muss ich nicht ständig essen und die Welt nur als etwas wahrnehmen, wo es zum nächsten gedeckten Tisch geht.
So brettert die Touri-Fraktion, die vorwiegend mit weißen, gemieteten Hilux-Pickups samt Dachzelten unterwegs ist, an uns vorbei (mitunter alle Regeln des Gravelpad-Fahrens außer acht lassend), während wir mit maximal 60 bis 80 km/h den Weg das Ziel sein lassen. Es sind aktive Kilometer, Wahrnehmung und Betrachtung der umgebenden Landschaft in Bewegung. Turtle-Travel könnte man das Unterfangen auch nennen, passend zu unserem Logo der entspannten Schildkröte. So sitzen wir in unserem rollenden Ausguck und empfinden die Fahrt-Zeit als – Achtung, Achtsamkeit lässt grüßen – Da-Sein.
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Die zieht Landschaft langsam vorbei, und mit den Augen des Wildnispädagogen kann man die Wechsel bei Stein-, Pflanzen- & Tierwesen (wildnispädagogischer Jargon für Geologie, Fauna und Flora) wahrnehmen. Wenn man sich erlaubt, sich die Zeit dafür zu geben. Wir hören unterwegs keine Musik; die Fahrtgeräusche und die der umgebenden Natur sind Soundscape genug. Zuhause aber, um die Erinnerung zu triggern: Stephan Micus, Garden of Mirrors etwa.
Eilig unterwegs zu sein, zahlt sich mitunter nicht aus. Das zumindest lernt das Kölner Pärchen vielleicht, dass wir rechts am Pistenrand mit Plattfuß rechts hinten stehen sehen. Natürlich halten wir und helfen (ungeschriebene Regel). Die Unterstützung ist mehr psychologischer als praktischer Natur – eher zu bestätigen, dass sie das Richtige in der richtigen Reihenfolge tun und dass das onboard-Werkzeug des Hilux besser ist als es aussieht.
Tempomat und Tyre Service
Der Fahrer hat es für eine gute Idee gehalten auf der breiten Piste den Tempomat auf 100 km/h einzustellen; kein Problem, meint er, der Hilux kann das. Ich bin mittlerweile so weit, dass ich mich jeglicher Klugscheißerei (weitgehend) enthalte und jede/n seine/ihre Erfahrung selbst machen lasse. Weh wird dem Fahrer vor allem tun, dass er sein Fahrzeug zum niedrigstmöglichen Preis angemietet und auf Zusatz-Versicherungen verzichtet hat. Also muss er den kaputten Reifen selbst bezahlen.
Nunmehr hat er also jede Menge Zeit wegen der Panne selbst verloren, und als wir in der nächstgelegenen Ortschaft – Betta (da waren wir schon mal) – ankommen, versucht er mit der örtlichen Belegschaft von Tankstelle & Tyre Repair zu verhandeln, den geschredderten Reifen zu flicken. Das kostet noch mal Zeit, und führt zu nichts. Lesson learned, my dear?
Hoffentlich, denn die beiden wollen noch weiter zum Kunene und ins Kaokoveld. Donnerwetter – da wird’s dann wirklich dünn mit Besiedelung und Bevölkerung, rough & tough, als Newbie-Tour ist die Latte da etwas hochgelegt, und da er für hin und zurück nur drei Wochen hat, ist weiterhin sportliches Fahren angesagt. Ok, na dann: safe travels!
Unsere Wege trennen sich in Betta (muss ich betonen, dass wir das nicht wirklich bedauern?). Wir kommen planmäßig im NamibRand Family Hideout an, das – wie der Name vermuten lässt – am Rand der Namib-Wüste liegt und einen Ausblick auf das unendliche Sandmeer einer der ältesten und unwirtlichsten Wüsten weltweit ermöglicht. Zum Eingangstor geht es einige Kilometer von der Haupt-Pad ab, ab dann sind es einige Kilometer zum Empfang, und von dort ein paar Kilometer zur eigentlichen „Jupiter“-Campsite.
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Die liegt völlig allein und fern von den anderen mitten im Sandmeer, und besteht vor allem aus unbegrenztem Platz und der Combo aus WC, Dusche und Küche auf Stelzen (siehe Fotos). Im Coyote Mentoring lernt man, sich bei Ankunft an einem neuen Platz erst einmal den Nachbarn, eigentlich den Gast-Gebern, vorzustellen: Also wiederum Stein-, Pflanzen- und Tierwesen. Jenseits vom spirituellen gibt es dabei auch einen praktischen Aspekt – man bemerkt Schlangen- oder Skorpionspuren, und kann sich dementsprechend ausrechnen, wer hier so wohnt und seiner Futtersuche in Morgen- und Abenddämmerung nachgeht.
Die Natur besteht aus Fressen und Gefressen-werden, und so weiß man auch, dass wo Geckos die Wände hochklettern und an ihnen kleben, auch jemand nicht allzu weit sein kann, der sie lekker findet. Das muss kein Grund zur Beunruhigung sein: Es gibt rund 170 Schlangenarten im südlichen Afrika – nur das Dirty Dozen ist für Menschen potenziell lebensgefährlich.
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Von diesen Zwölfen leben nur einige wenige in der Umgebung, in der wir uns gerade befinden. Und auch für die gilt: Hoch aufragende Zweibeiner zählen nicht zu ihrem Beuteschema. Man muss also nur aufpassen, nicht dusseligerweise draufzutreten, wenn man im Dunkeln auf die Toilette trottelt. Und wegen der kaum wahrzunehmenden Skorpione (auch da sind nur einige wenige Arten wirklich übel), ist halbhohes, festes Schuhwerk ohnehin Pflicht.
(Ansonsten gilt, was Mutti früher immer gesagt hat: Wer nicht hören will, muss fühlen!) <sagen das heutige Eltern noch ihren Kindern?>
Better safe than sorry
Zurück zu den Coyote-Ritualen: Gerade in einer ariden Umgebung zählt auch, übrig bleibendes Wasser, etwa vom Waschen oder Abspülen, den umgebenden Schirm-Herren oder -Frauen, meist in Form von Akazien (Kameldorn, Sweet Thorn) zu geben. Eine Art Dankbarkeit, dass man Gast sein durfte und von ihnen beschirmt wurde & Schatten gespendet bekam (vom Sauerstoff abgesehen). Shrub und Gräser freuen sich natürlich auch. Alles in allem: sehr angenehme Nachbarn in Campsite „Jupiter“ des NamibRand Family Hideout. Menschen sehr weit weg.
Wir wären gerne länger geblieben, aber die Campsite war bereits für die kommenden Tage belegt. Eine morgendliche Fliegen-Plage machte den Abschied leichter… Also versuchten wir noch, den Dünengürtel zu queren – was aber misslang, weil wir die Luft nicht so sehr aus den Reifen ablassen wollten, wie es erforderlich gewesen wäre. Unser Langstrecken-Landy wiegt schwer wegen Ausrüstung & Ausstattung; ginge man auf unter ein Bar Reifendruck, würden die Seitenwände vielleicht nicht mehr mitspielen. Letzter Spruch für heute: better safe than sorry!