Als früherem Redakteur ist mir die Idee des „Küchenzurufs“ geläufig. Man erläutert diese angehenden Journalisten, wenn es darum geht, den Kern einer Nachricht festzulegen: Was ist das zentrale Thema, die zentrale Aussage, das zentrale Geschehnis?
Man stelle sich vor, man habe etwas Aufregendes erlebt, und komme nach Hause, und die Familie sitzt in der Küche, um man rennt rein und ruft: „Weißt ihr, was passiert ist? Ich bin gerade eben… “ Das ist der Küchenzuruf.
Hilfsbereitschaft & Gastfreundlichkeit
Wenn ich also nach dieser Variante des Mottos first things first verfahre, dann müsste ich über diese Januar-Reise im Jahre 2021 nach Südafrika sagen: Die überwältigende Hilfsbereitschaft, Gastfreundlichkeit, Unterstützung von schwarz wie weiß; und das vor dem Hintergrund scharfer Corona-Regeln, die disziplinierter als in Deutschland beachtet werden (etwa Menschen, die bei 30-40 Grad Sommerhitze klaglos die Masken bei der Arbeit tragen, obwohl weit und breit kein anderer in ihrer Nähe ist).
Wir erleben etwa…
… vier Nationalpark-Ranger, die einen halben Arbeitstag draufgeben, um uns zu helfen, die vordere Kardanwelle aus unserem havarierten Land Rover auszubauen (und wieder einbauen, obwohl es nicht ihr eigentlicher Job ist, gestrandeten Touristen aus der Patsche zu helfen).
… einen Werkstatt-Chef, der uns rund um die Uhr und am Wochenende per Telefon und Whatsapp fachlich betreut; und obendrein eines seiner Privat-Autos leiht, als der Landy in seiner Garage steht…
… den Vorbesitzer unseres Fahrzeugs, der uns umfangreich hilft, in Südafrika Fuß zu fassen; Routentipps und Wegbeschreibungen gibt, und sogar die Farm eines Freundes fürs Wildcampen inklusive Zugang zum Haus vermittelt (obwohl der Freund gar nicht vor Ort ist, uns nicht kennt und der Zusage vertraut, dass wir uns schon zu benehmen wissen)…
… und andere mehr. Es wird viel gewunken und gegrüßt. Steht man am Pistenrand, bleibt garantiert einer stehen und fragt, ob man Hilfe benötigt. Es ergeben sich viele Erfahrungen, die an unsere vielen Reisen nach Israel gemahnen: Vielleicht rückt man mehr zusammen und gibt mehr ab, wenn das Leben schwieriger, gefährlicher, unabwägbarer und nicht so gesichert ist wie etwa in Deutschland. Es fällt immer wieder auf, wie engstirnig und selbstbezogen so viele Menschen in einem so reichen und so sicheren Land wie Deutschland sind (verglichen etwa mit den Lebensrisiken in Israel wie Südafrika).
Wir sind am 30. Dezember 2020 von Frankfurt nach Kapstadt durch die Nacht geflogen; negativen PCR-Test und englischsprachige Zusicherung auf Übernahme von Covid-19-Behandlungskosten der Auslandskrankenversicherung im Gepäck. Die Lufthansa-Crew zeigt sich überaus freundlich und ebenso bestimmt, als ein Fluggast nicht von seiner nonkonformen Maske lassen will. Entweder Standardtypus oder Ausstieg, heißt es klar. Der Mann fügt sich schließlich – nach langer Diskussion.
Silvester begehen wir wenige Stunden nach der Landung mit Freunden in deren Haus in Stellenbosch (Beate hat Anti-Gen-Schnelltests im Gepäck; wir testen alle auf Covid-19 durch). Ebenso die folgenden Wochenendtage; ein ruhiger Start ins Jahr und in diese erste größere Land Rover-Reise, die eigentlich im April 2020 hätte stattfinden sollen. Vor einem Jahr hatten wir den erworbenen 110er Defender (siehe Beitrag „Nr. 5 lebt – DAMPH-WP„) in Augenschein genommen und ausgerüstet, sowie eine erste kleine Tour in die Kleine Karoo und die Swartberge unternommen (siehe Beitrag „Auf der Route 62 in die kleine Karoo„).
Nr. 5 lebt immer noch
Warum der Landy dann ein Jahr in seiner Garage stand und auf unsere Wiederkehr wartete, liegt auf der Hand. Immerhin, Reifen und Batterien hatten es erstaunlich gut überstanden. Wir hatten den Plan, die erstere größere Schotterpisten-Reise nicht allzuweit weg von der Basis in Stellenbosch führen zu lassen (es wird sich zeigen, dass das ein weiser Plan war; doch dazu später mehr).
Die Restriktionen in Südafrika zogen unter anderem nach sich, den Stränden und der beliebten & bevölkerten Garden Route fernzubleiben; das war keine schwere Entscheidung, denn wir ziehen die abgelegenen Winkel ohnehin vor. In Corona-Zeiten ist das sogar eine menschenfreundliche und nicht menschenfeindliche Entscheidung: In Wüste & Wildnis gibt es kaum Probleme mit Social Distancing. So folgten wir einem Tourenvorschlag des Landy-Vorbesitzers, der uns durch einige Stationen in den Cederberg Mountains, der Tankwa Karoo und der Großen Karoo führen sollte.
Für damit verbundenen Entfernungen benötigt man keine 198 Liter Diesel, die die insgesamt drei Tanks des Landys fassen und auch keine 120 Liter Wasser, die in zwei weiteren Tanks an Bord sind. Zwei 5kg-Gasflaschen hängen gesichert außen dran. Aber alles will ja geprüft und ausprobiert sein. Dass sich das Leben in Afrika draußen abspielt, ist ein häufig kolportierter Spruch; da es überwiegend warm und trocken ist, wurde im Landy als Campingfahrzeug mit seinem Hochstell-Zeltdach darauf verzichtet, eine kleine Küche unterzubringen. Eine Extra-Heizung hat er und braucht er nicht.
Kochen, essen und abspülen findet eben draußen statt. Als Kocher fungiert eine Gasflasche mit aufgeschraubtem Metallteller, auf dem ein Topf oder Pfanne Platz finden. Kein Problem, als Wok-Fan bin ich mit One-Pot-Meals vertraut. Als Tisch dienen robuste, übereinander gestapelte Materialkisten, in denen sich Kochgeschirr und Lebensmittel befinden. Auf den Campsites finden sich zumeist so genannte Ablution Blocks mit Spülbecken; beim freien Stehen hilft eine Kunststoff-Faltschüssel beim Abspülen unter freiem Himmel.
Die Kraft, die man braucht. Das Essen dazu. Mehr nicht.
Folge von all dem: Im Landy entsteht jede Menge Stauraum für Klamotten, Camping- und Outdoor-Equipment, Sport- und Wanderausrüstung, Werkzeug, Ersatzteile… Wie beengt und mit wie wenig Stauraum ausgestattet ist dagegen die Wohnkabine des Ford Rangers, der in Deutschland steht. Aber der muss ja auch das Wetter europäischer Klima- und Vegetationszonen von der Algarve bis zum Nordkap abkönnen – also hat er Kocher, Spüle und Dieselheizung quasi indoors.
Bei diesen Touren merke ich auch immer wieder, dass es (Leistungs-)Sport zwar seit den antiken Griechen (oder noch früher) gibt, aber eigentlich eine Sache des modernen Büro-Angestellten-Zeitalters ist… Bauern und Handwerker haben früher für so was keine Zeit oder Kraft mehr gehabt.
Surrogataktivität Sport
Auf Tour zählt ähnlich auch nur die Kraftanstrengung, die man gerade braucht und das Essen, was man gerade bekommt bzw. bei sich hat. Da sind keine geordneten, zielorientierten Trainings- und Ernährungspläne drin… bzw. es kostet einiges an organisatorischen und logistischen Anstrengungen, diese beizubehalten.
Der Unabomber in seiner Log Cabin in Montana hat Sport „Surrogataktivitäten“ genannt – Ersatztätigkeiten, die man unternimmt, weil das eigentliche Leben entfremdet ist… Und seltsam, auf Tour in Wildnis & Wüste habe ich nie das Bedürfnis nach Sport etc.; man hat so viel mit Organisation, Planung, Logistik (Strom, Wasser u.a.), Navigation, Orientierung, sich permanent ändernden Bedingungen und Umständen etc. zu tun, dass für anderes kaum Raum bleibt… Man hat so viel mit dem Sein an sich zu tun. Deswegen ist eine solche Reise auch nie ein Urlaub.