Zugegeben: Die Antarktis mag nur Nummer Drei sein. Der Mond mag lebensfeindlicher sein, die große Unterwasserwelt unseres blauen Planeten auch. Auf Mond und unter Wasser ist das menschliche Leben nur mit Hilfe technischer Geräte möglich. Aber auch in der Antarktis ist das Gefühl allgegenwärtig, nur ein kurzfristig geduldeter Gast und von Hilfsmitteln extrem abhängig zu sein.
Die Antarktis ist kein Ort, an dem man sein oder bleiben kann. Das schützende Mutterschiff, das Sicherheit und Wärme spendet, wird selbst während der antarktischen Sommermonate nur für Stunden verlassen – eingepackt in dicke und vor dem Unbill plötzlicher harscher Wetterumschläge schützende Klamotten.
Penguin Post Office in Port Lockroy
Egal ob zu Fuß an Land inmitten der Gentoo Pinguine unterwegs, an Bord der Zodiac-Schlauchboote beim Transfer oder beim Kayaken in verwinkelte Ecken der Antarktischen Halbinsel – immer ist das Gefühl geliehener Zeit, begrenzten Aufenthalts übermächtig. Es gibt keine Möglichkeit eines Bleibens.
Manchmal sieht man ein paar simple Behausungen an Land: Port Lockroy etwa ist eine britische Post Station samt angeschlossenem Museum, die im Winter geschlossen ist. Fünf Monate im Sommer ist sie mit wenigen Menschen besetzt, die den Post- und Shopbetrieb aufrecht erhalten. Man bekommt von Ihnen einen Stempel des „Penguin Post Office“ in den Reisepass – auch wenn dieser Stempel im internationalen Reiseverkehr natürlich nicht gültig ist.
Wenn die Menschen zu Beginn des Winters abrücken, übernehmen die Pinguine endgültig das Kommando. Port Lockroy ist nichts weiter als ein rosa Felsen im Wasser, auf dem zwei Hütten stehen und der von den Pinguinen regiert wird. Und ihren rosa Stoffwechsel-Hinterlassenschaften – und so glitschen die Menschen auf den besudelten und beschmierten Felswegen umher, inmitten der gar nicht scheuen Pinguine.
Diese putzigen Tiere sind diejenigen, die im antarktischen Winter bleiben und den Stürmen trotzen. Wer nicht Pinguin ist, sieht zu, dass er wegkommt. Es gibt nur Luft- und Wasserbewohner; die possierlichen Pinguine sind die einzige Spezies, die den antarktischen Winter in der Höhe des Südpolarkreises an Land zu überstehen weiß. Aber nicht alle überleben.
Stichwort Südpolarkreis: Einer der Höhepunkte einer Antarktis-Reise mit einem Passagierschiff ist die Fahrt durch das Eis des Lemaire-Kanals. Unser Kreuzfahrtschiff „MS Expedition“ ist mit ihren 120 Metern Länge und knapp 20 Meter Breite ein eher kleiner Kahn, die sich den sechs Kilometer langen Weg durch die allgegenwärtigen Eisberge und -brocken bahnt. An der schmalsten Stelle ist er 720 Meter breit, die umgebenden Berge ragen bis auf 1000 Meter auf.
Petermann Island ist das Ziel, doch der Weg dahin ist manchmal vom Eis blockiert. Die Ice Navigation ist immer eine Herausforderung für den – routinierten – Captain des Schiffes. Keiner der Passagiere kommt wohl ohne „Titanic“-Phantasien aus.Der Südpolarkreis auf 66º 33´ wird nicht ganz erreicht, aber fast.
Vorsichtig schieben die 11.000 PS mit verhaltener Kraft die „MS Expedition“ vorwärts. In der Antarktis ist eine Voraussage ob der nächsten halben Stunde schon unsicher. Unsere Fahrt ist die vorletzte der „MS Expedition“ in diesem antarktischen Sommer – wir sind schon verdammt nah am Winter.
Die Passagiere verbringen die Fahrt durch den Lemaire-Kanal am Bug oder an der Reling seitlich. Geduldiges Ausharren wird belohnt: Manchmal winken Kormorane mit den Flügeln – oder schwimmt ein Wal neben dem Schiff her:
Und manchmal bricht ein Wal aus dem Wasser. Beim Kayak-Ausflug, inmitten der Boote. Allen Kayakern wird in dieser Sekunde das Herz kurz ausgesetzt haben – auf einmal beginnt sich die Wasseroberfläche geradezu sanft zu kräuseln, und ein grauschwarz-glänzender Berg erhebt sich vor dem roten Plastik-Bug, wächst immer mehr empor.
Die Rückenflosse schwebt an höchster Stelle, der Berg beginnt genauso sanft und nur kleine Wellen verursachend wieder ins Wasser zu sinken, die Kayaks holpern kurz. Dann klappt die Heckflosse nach, die Fluke winkt – und weg ist er. So leise und unaufdringlich, wie er gekommen ist. Und alle Paddler fragen sich, ob sie gerade eine kollektive Halluzination erlebt haben.
Beth, Kayak-Guide und Meeresbiologin, wird später bestätigen, dass ein whale breach inmitten der Kayaks sehr selten vorkommt. Tags zuvor sind wir mit einem See-Leoparden um die Wette gepaddelt, heute konnten wir einen Wal beinahe streicheln. Es waren die intensivsten Erlebnisse in unserem Leben.
(Und danke an den mir unbekannten Fotografen, der geistesgegenwärtig genug war, die Szene im Bild festzuhalten. Und dem ihm eigentlich geschuldeten Copyright.)