Manchmal kommen die früheren Bewohner noch in ihr Dorf; das Dorf, das sie verlassen haben. Den Ort, den sie verlassen mussten. „Am meisten auf der Welt liebe ich meine Familie, aber auch Finestres, Land wie Leute“, schreibt Maria Patrocinio im Dezember 2017 auf einem Blatt, das laminiert an der zerstörten Außenfassade der ehemaligen Kirche hängt, verbunden mit der Bitte, es hängen zu lassen und nicht kaputt zu machen.
Wir lieben auch Montfalcó…, Fet…, Blancafort…, Dörfer, die uns großartige Erinnerungen bescheren,… ihre Häuser,… ihre Menschen,… sie alle grenzen an diesen schönen Fluss, den Noguera Ribagorzana. (…) Ich wünsche mir von allen – von hier wie von weiter her -, die kommen, um diese schöne Ecke zu sehen, dass sie sie genießen und in Ehren halten.
Und die Gemeinschaft der Freunde & Besitzer von Finestres bittet darum, den Ort nicht „die chinesische Mauer von Finestres“ zu titulieren (was häufig vorkommt), sondern sie zu nennen, wie sie sie nennen: „die Felsen von la Vila“ bzw. „die Zähne von Finestres“. Denn nahe des Ortes findet sich eine erstaunliche geologische Besonderheit: Eine doppelwandige „Mauer“ aus Felszähnen (siehe nachstehende Fotos).
y cuando os pregunten por la muralla china decirles que está a 13.000 km, en China, no en Finestres.
(Und wenn sie euch nach der Chinesischen Mauer fragen, sagt ihnen, dass sie 13.000 km entfernt liegt, in China, nicht in Finestres.)
Die Ruinen von Finestres und der Stolz und die Trauer ihrer ehemaligen Bewohner stehen für viele Pueblos Abandonados im nördlichen Spanien. Vor allem sind sie verlassen worden, weil sie in den Wasserfluten neu angelegter Staudämme versanken. Oder weil diese Staudämme, die gleichermaßen für Stromproduktion wie zur Wasserversorgung größerer Orte und Städte angelegt wurden, die bis dahin existierenden Handels- und Verbindungswege (zer-)störten. So wanderten immer mehr lokale Lebensmittel-Produzenten und -Händler, sowie Handwerker etc. ab.
Obendrein besaßen viele Menschen in den Hanglagen der Vorpyrenäen ihre fruchtbaren Felder im Tal. Mit dem Absaufen der Äcker gingen ihnen die Lebensgrundlage verloren. Die Stromproduktion ab dem frühen 20. Jahrhundert brachte es obendrein mit sich, dass zentraler gelegene Ort elektrifiziert wurden; eine eigene Stromleitung in ein fernes Kaff mit nur wenigen Einwohnern aber mochte oder konnte niemand bezahlen.
Die Jugend, wenig interessiert am mühevollen Leben ohne Strom und ohne Arbeitsperspektiven in der näheren Umgebung, ging dahin, wo es sie besser wähnte. Weniger Menschen bedeutete weniger Märkte, weil es sich für die Händler nicht mehr lohnte. Weniger Kinder und Jugendliche bedeutete weniger Schulen.
Nach und nach brachen die kleinteiligen kommunalen Infrastrukturen zusammen. Zurück blieben überwiegend alte Menschen, die sich nicht mehr verändern konnten oder wollten. Nach deren Tod im Zuge der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts blieben die bröckelnden Ruinen zurück, bald von borstiger Natur zugewuchert.
Wer ein bisschen regelmäßig im Amphibiums-Blog liest, weiß, dass Teile meiner Familie im spanischen Galicien leben, und dass ich häufig dort bin. Auch in Nordwestspanien gibt es viele verlassene Liegenschaften, so nimmt es kaum Wunder, dass die Idee zu einer Foto-Tour zu „Geisterdörfern“ schon lange existierte. Inklusive erster Recherchen. Nachdem der 4×4-fähige VW-Campingbus (der „Bitibulli“; Beitrag dazu hier klicken…) und hier klicken…) in unserem Fahrzeug-Portfolio nach einer ausgiebigen Test-Tour verlangte, konnten wir also isseki nicho – zwei Vögel mit einem Stein treffen*.
Wir legen am 19. Mai ab, legen einen Zwischenstopp bei langjährigen Freunden ein, die im französischen Pyrenäenvorland leben. Danach quer über & unter den Pyrenäen durch und wir treffen in Bielsa auf der spanischen Seite ein; und gleich beginnt etwas, von dem wir erst später wissen werden, dass es begonnen hat: der happy Campingplatz (https://www.campingaltaribagorca.es/) mit seinen buddhistischen Statuen, überall aufgehängten spirituellen Sprüchen und säuselnder Panflötenmusik rundum’s Bar-Restaurante ist unsere erste von Unterkünften in den spanischen Pyrenäen, die nicht der üblichen Campingplatznorm entsprechen.
37 Sekunden Schotterpiste in den Pyrenäen:
Fortsetzung folgt.
*Das ist die japanische Version von „zwei Fliegen mit einer Klappe“.