Auskuppeln, Handbremse anziehen, Motor aus: Bleibt noch, das Zeltdach der Wohnkabine aufzustellen, was mit ein paar Handgriffen getan ist. Der Ranger nimmt vor Schloß Bettenburg, einem Seminarhaus & Meditationszentrum, Platz; genug Diesel für die Heizung ist an Bord, ebenso genug Strom in den fest verschraubten und den portablen Batterien, 20 Liter Wasser ebenso. Eine Woche Retreat in der kalten und dunklen Jahreszeit ist angesagt – dafür müssen diese Ressourcen reichen, ohne dass das Fahrzeug bewegt wird. (Unbeheizte) Duschen & WC sind in einem Nebentrakt des Schlosses.
Was auch bedeutet: Nachts Temperaturen um den Gefrierpunkt, tagsüber fünf bis zehn Grad. Die Heizung könnte bei vollem Tank rund um die Uhr laufen, aber das würde die Versorgungsbatterie nach ein paar Tagen Stand und ohne Sonne bei dichten Wolken zur Erschöpfung bringen – denn die Heizung hat ein Gebläse, das elektrisch betrieben wird. Da das Zeltdach der Wohnkabine des Ford Rangers nicht aus isolierendem Stoff besteht, heizt man die warme Luft von unten sozusagen zum Dach hinaus…
Es geht mit (noch) weniger…
Also nutze ich die Heizung nur morgens um 5 Uhr, um aus dem dicken Winter-Schlafsack in die Klamotten zu schlüpfen, sich mit dem eiskalten Wasser das Gesicht zu waschen und bei ein paar Grad einen schnellen Kaffee zu kochen – das schafft auch wohltuende Abwärme vom Gaskocher – und zu trinken. Nachts gegen 22 Uhr geht’s ähnlich zu – schnell mal aufheizen und sich gemütlich schlafen legen; dann wird die Heizung abgestellt (nicht nur, dass das Gebläse strombetrieben ist, es macht auch ziemlich Lärm).
Demgegenüber herrscht an Bord vom Unimog mit seinem Wohnkoffer gerade zu ein komfortables Mobil-Leben. Und jenes mag mancher schon für ziemlich frugal halten. Und wieder einmal die Erfahrung: Es geht mit (noch) weniger; und ist dabei gar nicht sooo unbequem. Vielerorten auf der Welt haben die Menschen sehr viel weniger…
Vom Überfluss ab-geben
Da würde es den reichen SUV-Gesellschaften wohl gut tun, mal eine Weile so zu leben – dann würden sie (wieder) wissen, wieviel sie haben, wieviel davon schierer Überfluss ist, und wieviel sie davon abgeben bzw. anderen geben könnten, ohne nennenswerte Komfort-Einbuße zu haben. Und das müsste kein Leben im Pick-up Truck mit Wohnkabine sein…
Retreat bedeutet „Rückzug“ – vom üblichen Leben. Eigentlich handelt es sich um eine Art Trainingslager, wie ich es vom Krav Maga oder vom Triathlon kenne: Eine Woche lang eat-train-sleep. Eine Woche lang Fokus auf die zu übende Disziplin, unter weitgehender Ausschaltung aller Normalitäten oder Geschäftigkeiten.
Trainingslager – des Geistes
Ein Meditations-Retreat ist ein Trainingslager des Geistes, vor allem des Geistes. Denn gewisse physische Aktivitäten (meditatives Gehen, Yoga) und physische Resonanzen (Bodyscan) gibt es dort auch. Man macht dichtere, intensivere Erfahrungen als im Alltag; und man widmet sich dieser einen Sache ausschließlich unter Ausblendung jeglicher Ablenkungen.
Ablenkungen, im englischen Sprachgebrauch „pacifiers“ genannt, dienen häufig ja dazu, das genaue Hinschauen zu vermeiden. Wir wissen, da nagt etwas an uns innerlich – aber wir haben zu viel Angst davor, sich damit eingehend zu beschäftigen. Also lenken wir uns davon ab – wir haben reichhaltige, allgegenwärtige Auswahl an „pacifiers“ in Form unserer Smartphones, Tablet-Computers, jeglichem Medienkonsum etc.
Sitzen und Gehen im Wechsel – oder andere Übungen
Folglich: Während man im Krav Maga- oder Triathlon-Camp in den (Mittags-)Pausen und nach Abschluss der letzten Trainingseinheit nach Herzenslust direkt oder digital kommunizieren kann, gilt das im Retreat nicht. Übungszeit ist der ganze Tag, auch außerhalb der angesetzten Zeiten von 6 bis 21 Uhr. In denen wird im 30- bis 45-Minuten-Wechsel ununterbrochen sitzend oder gehend meditiert, oder der Lehrer bzw. die Lehrerin gibt Anweisungen, Erläuterungen, hält einen Vortrag. Ach ja, und zwischendurch isst man auch mal, schweigend.
Es gibt Varianten, wie vor etwa zwei Wochen etwa: Da habe ich mich im Benediktushof in Holzkirchen bei Würzburg einem Zen-Sesshin gewidmet, das außer Zazen – der Sitz-Meditation – den Umgang mit Pinsel und Schwert als Zen-Methode beinhaltete. Wir haben den Tag also im Wechsel von Zazen, Aikiken-Übungen mit dem Bokken (dem Holzschwert) und kalligrafischen Ansätzen des Hitsuzendo verbracht. Nach strenger & strikter Zen-Tradition. Wer wollte, durfte nachts weiterüben.
No hurry – nothing to do – nowhere to go – noone to be
In einem Schweige-Retreat ist außer dem Allernotwendigsten das Reden verboten. Man kennt sich nicht, und weil man nichts erzählen darf, wissen wir folglich nicht, wer was macht und wer was ist. Man begegnet sich im Schweigen als der Mensch, der man ist. Nicht mehr, nicht weniger. Stille bedeutet auch: kein Lesen, Schreiben, SMS, Twitter, Facebook, Foto… only me, myself an I.
Eine Retreat-Grundeinstellung lautet: No hurry – nothing to do – nowhere to go – noone to be. Es kann sehr befreiend sein, nur-so-da-zu-sein, und nicht über Beruf, Tätigkeiten, Rollen definiert und eingeschätzt zu werden. Man kann dann viel in sich hineinlauschen, wer man und was man ist (oder zu sein glaubt), wenn man nicht seine Etiketten, Zuschreibungen, Rangabzeichen vor sich herträgt.
Das Leben ist kein Ponyhof
Und dann wäre da noch: Not intoxicating body & mind. Womit Alkohol- und sonstige Medikamenten-/Drogenzufuhr gemeint ist. Denn Vernebelung ist nicht förderlich, wenn man daran geht, den eigenen Geist zu erforschen, diesen sozusagen durch die Lupe der Meditation zu betrachten.
Jon Kabat-Zinn, Begründer der Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR), hat gesagt: Meditation is not for the faint of the heart. Frei übersetzt: Meditation ist nichts für Feiglinge. Kabat-Zinn wiederum hat dem fälschlich übersetzten buddhistischen Begriff vom „Leiden“ einen modernen Namen gegeben, den jeder kennt: Stress. Man könnte auch salopp sagen: In dem Moment, wo du geboren wirst, ist eins klar: Das Leben ist kein Ponyhof. Anders gesagt: shit happens!
Sumpf der Geisteszustände
Und so hat ein aus den USA stammender Meditationslehrer, der mehr als acht Jahre als Mönch in einem Kloster in Burma zugebracht hat, denn auch von einem Retreat als dem „Sumpf der Geisteszustände“ gesprochen, der als „shit accelerator“ fungiere…
Letztlich geht es in jedem Mentaltraining, ob es religiös, spirituell, pragmatisch, sportlich oder wie auch immer gefärbt sei, um eine Grundkonstante: The mind is the creator for our hells and heavens. Dem versucht man im Retreat in konzentrierter Form auf die Spur zu kommen. Die aufs Wesentliche reduzierte Existenz im Pick-up Truck mit Wohnkabine auf der Ladefläche hilft dabei – eine Art mobile Mönchsklause.