Die Abfahrt heute morgen ist nach 200 Metern zu Ende, das Führerhaus des L60 ist verzogen und muss gerichtet werden. André war gestern im Dunkeln in der Schlucht irgendwo dagegen geknallt – und heute muss er feststellen, dass am nach vorne klappbaren Führerhaus des IFA ein Bolzen gebrochen ist.
Folge: Der IFA lässt sich mehr schalten, denn das Führerhaus wackelt und rutscht und klemmt so den nach unten ins Getriebe ragenden Schalthebel ein. Der Führungs-Lkw ist zum zweiten Mal lahmgelegt. Und wir lernen, dass bei Fern-Reisen fernab touristisch ausgetretener Pfade andauernd etwas kaputt geht. Vor allem bei Fahrzeugen, die rund 30 Jahre alt sind.
Andererseits: Bei IFA und Unimog kann man noch etwas selbst reparieren oder einen Dorf-Schmied und -schweißer finden, der ein fehlendes Teil basteln kann. Der 160.000 Euro teure Iveco voller Elektronik ist zwar niegelnagelneu und macht alles überraschend klaglos mit. Aber wehe, wenn da ein Steuerteil ausfällt…
André versucht, den Lkw über größere Steine zu manövrieren in der Hoffnung, dass das Führerhaus durch den Ruck wieder einrastet. Vergebens. Am IFA wird schließlich unter Einsatz aller greifbaren Gurte gewerkelt und schließlich das Fahrerhaus regelrecht festgezurrt (auch dieses Provisorium wird erstaunlich lange halten – und halten müssen).
Verletztenversorgung unterwegs
Wir verlassen den Cirque de Jaffar über eine schmale Offroad-Serpentine nahe am Abgrund – für Beifahrerinnen ohne Schwindelfreiheit, dafür mit Höhenangst, ein Alptraum.
Unterwegs werden wir von Einwohnern angehalten und um Hilfe für einen Jungen gebeten. Der hatte sich Tage zuvor mit einem Beil in den Fuß gehackt und kam angehumpelt. Drei Fachkräfte waren in unserer Truppe – eine ehemalige Krankenschwester, eine Heilpraktikerin und ein Guide, der ohnehin das Thema Outdoor-Erste Hilfe mit uns durchnahm. Exemplarischer hätte die Situation nicht sein können, und so gab es nach dem Theorie-Exkurs zwei Tage zuvor gleich eine praktische Lern-Einheit, mitten aus dem Alltag einer kargen landwirtschaftlichen Existenz im Gebirge gegriffen fernab von Hospitälern.
Es stellte sich mit Hilfe des Dolmetschers nach und nach heraus, dass der Junge schon bei einem lokalen Med Center versorgt, sauber verbunden und medikamentiert worden war. Neu verbinden, ein paar Mullbinden und Medikamente zurücklassen, war alles, was wir tun konnten. Und eine neue Lektion mitnehmen: In lebensfeindlicher Umgebung hilft man sich. Immer.
Umkehren ist (k)eine Möglichkeit
Auf der Weiterfahrt stoßen wir auf ein Hindernis, das uns zum ersten Mal zum Umkehren zwingt. Eine Asphaltstraße ist so geflickt und am Rande eines Flussbettes abgebrochen, dass vom Teer häufig kaum mehr als ein Meter breites Band übrig ist. Der Rest ist Piste, Schotter, Abbruchkante. An einer Stelle ragt ein Felsen in diesen Pfad, für unsere Lkws wird’s zu eng.
Zwei Möglichkeiten bleiben: Wieder einmal (wie schon im Frühjahr) einen Felsen mit Vorschlaghämmern und Brechstangen und Meißeln in stundenlanger Kleinarbeit zerhacken. Oder durch den Fluss fahren.
Dazu muss ein guter Einstiegspunkt und ein guter Ausstiegspunkt gefunden werden. Das Flussbett selbst, die Kiesel und Steine dort, sowie der Wasserlauf sind kein Problem für unsere Offroader. Rein geht es auch leicht, aber die voraus geschickten „Späher“ melden Probleme mit dem Ausstieg. Und wir wissen nicht, ob eine ähnliche Engstelle weiter in Fahrtrichtung voraus lauert. Uns ist eine kleine Land Rover-Truppe entgegen gekommen – die Defender und Discos sind deutlich schmäler als unsere Fahrzeuge. Und Lkws sind uns nicht begegnet…
Aufs Hacken hat keiner Lust mehr, also nehmen wir die dritte Möglichkeit: Umkehren, auch wenn es einen Umweg von 80 Kilometern bedeutet. Auch das kann passieren.
Wir parken nahe der kaputten Straße in einem Seitental. Dann gibt es eine Überraschung: Guide Holger hat in dem IFA-Lkw Leinwand, Beamer, Laptop und einige Film-DVDs untergebracht und lädt zur Kino-Nacht als Entschädigung. Wir sehen „Fräulein Stinnes fährt um die Welt„. Der ultimative Reisefilm erzählt die abenteuerliche Geschichte von Clärenore Stinnes, die 1927 als erste Frau die Erde mit einem Auto umrundete – unter Mühen, Strapazen und Anstrengungen, die unsere locker und leicht vergessen lassen.
Wir trinken unser Anleger-Bier (eine Tradition, die ich vom Segeln übernommen habe) in Pullis und Decken gehüllt in böser nächtlicher Kälte – der Beamer allerdings läuft dennoch so heiß, dass er mit dem Fön der Iveco-Beifahrerin immer wieder gekühlt werden muss.