Ach, sagt Attie, die Schwarzen wissen weiße Chefs durchaus zu schätzen. Die zahlen weitgehend einen fairen Lohn, und beuten ihre Schwarzen Lohnarbeiter nicht gnadenlos aus wie Schwarze Vorgesetzte. Oder hauen sie übers Ohr wie indische Chefs.
Ich glaube mit meinen mittelschichtig-mitteleuropäischen Ohren nicht richtig zu hören. Doch dann erinnere ich mich an eine Begebenheit im namibischen Ai-Ais im vergangenen Februar. Da hatte eine korpulente Bardame im dortigen Nationalpark am unteren Ende gestöhnt, dass weiße Chefs sie niemals bei dieser Hitze im engen Tal des Fish River Canyons zwingen würden, zu bleiben. Dass ihr Schwarzer Boss das aber täte, anstatt die Belegschaft an einen anderen NWR-Park zu versetzen, wo mehr los sei.
In Ai-Ais waren zu diesem Zeitpunkt ein halbes Dutzend Gäste, wo sonst in der Hochsaison hunderte in Chalets oder Campsites residieren.
Attie mag also recht haben; er war viele Jahre Bankmanager, bevor er sich entschloss, zwei Engen-Tankstellen (die Engen-Kette ist offensichtlich nach einer Art Franchise-System organisiert, wie McDonalds etwa) zu übernehmen und damit sein Geld zu machen. Dadurch hatte er natürlich viele Schwarze Untergebene. Und damit sind wir nicht nur in seinem Plot in der Touwsberg Nature Reserve, sondern mitten drin im Abbau fortgeschrittener Klischeebildung zum Verhältnis zwischen Schwarz-Farbig-Weiß in Südafrika.
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„Crouching Tiger, Hidden Dragon“ lautet der Titel eines berühmten Filmes; und die Bedeutung ist in etwa: Die Dinge sind nicht immer so, wie sie scheinen. Dass es ein gnadenloses soziales Gefälle in Südafrika gibt, ist angesichts armseligster informal settlements am Rande der Schnellstraßen kaum zu übersehen, und die Kriminalstatistik spricht Bände. Und doch gibt es Zwischentöne und Nuancen im grellen Bild. Weiß-der-Teufel, warum diese in mitteleuropäischen Medien selten nachgezeichnet werden.
In der Touwsberg Nature Reserve wohnen Teile der weißen Elite, die es sich leisten konnten, dort ein ein Hektar großes Stück Land zu erwerben, auf das sie ein 200 Quadratmeter großes Haus bauen dürfen. So ein Plot kostet umgerechnet rund 50.000 Euro, der Hausbau noch mal so viel. Aus der Perspektive eines mittellosen Schwarzen fern jeder Realisierbarkeit, aus der eines mittelschichtig-mitteleuropäischen Weißen no big deal. Für das Geld kriegt man im attraktiven Stellenbosch gerade mal eine kleine Wohnung inmitten anderer Apartments.
Erschwingliche Plots in urwüchsiger Natur
In Touwsberg kriegt man ein großes Stück Land urwüchsiger Natur inmitten der Klein-Karoo. Der nächste Nachbar einen Kilometer entfernt, mitunter nicht zu sehen. Von Stellenbosch aus fahre ich über Swellendam und den Tradouwpass; man zweigt einige Kilometer hinter dem munteren Barrydale mit dem schrillen Karoo Art Hotel, dem Sorgfry-BnB und einigen Yoga-, Retreat- und Spa-Angeboten von der Route 62 ab, fährt einige Kilometer Schotterpiste und erreicht dann ein verriegeltes Tor, das sich nur öffnet, wenn man den Code fürs massive Schloss kennt.
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Danach geht es auf einem sehr schmalen, verwinkelten 4×4 Trail, für den man schon am Steuer eines geländegängigen Fahrzeug sitzen sollte, weiter durch nahezu unberührte Karoo-Natur. Rund 120 Plots gibt es, von denen noch etwa zwei Dutzend zu haben sind. Potenzielle Käufer sind also willkommen, und sie können sich ihr bevorzugtes Stück in verschiedenen Mikroklima-Zonen aussuchen. Also mehr am Hang oder mehr im Flachland, mehr im Karoo-Grün oder mehr im Karoo-Beige, mehr bewachsen oder mehr mit Steinen & Sand, und vor allem: nahe der Wasserquellen.
Private Nature Reserve bedeutet auch, dass es dort eine Anzahl Tiere gibt – Giraffen, Zebras, Antilopen, der gelegentliche Leopard. Verwaltet wird das Gebiet von einem Direktorium, und das hat auch dafür zu sorgen, dass die Anzahl der Tiere nicht die Regeneration der kargen Landschaft überfordert – was bedeutet, dass manchmal welche umgesiedelt werden müssen. Attie verliert sich gerne stundenlang mit dem Mountain-Bike auf den zahllosen Wegen durchs Gelände; in seinem Haus stapeln sich die Landschafts-, Tier- und Pflanzenbestimmungsbände auf dem Wohnzimmertisch.
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Das Haus – alles Beton und Glas, selbstverständlich mit großer Stoep und Braai-Grill, blickt weit auf die Landschaft mit ihren Hügeln und Senken; ein Ausblick, an dem man sich nur schwerlich sattsehen kann. Abends blickt man in den Sonsondergang… natürlich darf dann der Sundowner-Drink nicht fehlen.
Nicht alle Weißen leben so. Ein Kontrastprogramm bietet einige Kilometer weiter die Amber Lagoon Lodge von Susanne und Kurt, beide aus dem Schwaben- (oder Badenser?) Land, was schwer zu überhören ist. Ihre „Lodge“ entspricht so gar nicht dem Bild einer solchen, denn die terrassig auf einem Hang angelegte Campsite mit freien Flächen und fest installierten Zelte richtet sich an Biker & Backpacker oder andere raue Gesellen, die lieber einfach, rustikal, derb-gemütlich und kostengünstig hausen wollen.
Amber Lagoon Lodge – keine Lagune, keine Lodge
Vom Hügel oben, dort wo das Boot liegt, dass der Amber Lagoon Lodge den Namen gegeben hat (eine Lagune gibt es weit und breit nicht), überblickt man das farmliche Alltagsleben im Kleinkaroo-Allerlei; und das sieht nicht notwendigerweise so hübsch aus wie die Lodge-Kultur an der Garden Route.
Ich bin nicht zum ersten Mal dort, und so macht die Anlage jenseits der hübschen blauen Tische und Stühle, sowie des irgendwann mal schön angelegten Swimmingpools auf mich einen vernachlässigten Eindruck. Jenseits der bunten kreativen Spielereien aus ortsüblichen Materialien (wie leeren Plastikflaschen) ist vieles kaputt, verdreckt und ungepflegt…
Selbstversorgung und Übernachtungsgäste
Susanne klagt über den Arbeitsaufwand, den sie jenseits des Selbstversorgergartens und der Hühner hat. Und den sie offensichtlich alleine nicht bewältigt. Sie ist nicht mehr die Jüngste, und nicht nur von ein paar Wehwehchen geplagt. Der Kurt ist krank und derzeit in Deutschland. Eine Schwarze Arbeiterin kommt morgen. Vielleicht. Oder auch nicht.
Mir scheint’s, sie kommt gerade so über die Runden. Es ist Vorsaison, und ich bin der einzige Gast. Am folgenden Tag trifft ein deutsches Ehepaar ein, und wundert sich wohl, wohin es geraten ist. Hat es darob schlechte Laune oder ist es einmal mehr ein untrügliches Zeichen deutscher Touristen, dass sie nie grüßen und den Blick starr an einem vorbei richten?
Digitalia und Spiritualia
Susanne lässt sich von mir zeigen, wie man einen Gmail-Account anlegt – die digitale Welt ist offensichtlich nicht die ihrige. Sie geht viel mit ihren Hunden im Veld spazieren. Hunde, so berichtet sie mir, haben eine spirituelle Seele. Und sie hält Therapie-Patienten für „balla-balla“. Ich überlege, ob Susanne in dem für sie besten Heilort der Welt lebt.
Um die Amber Lagoon Lodge herum liegen Straußenfarmen. Deren Schwarze Farmworker machen Arbeits- und Lebensgeräusche; Susanne und Kurt leben nicht sehr viel anders. Menschen wie die beiden gehören auch zum Panoptikum Südafrikas.