Wieder am Tollhuis vorbei: Mehr eine Art Hütte, vollgepfropft mit Schnaps- und Bierflaschen, Souvenirs, Kappen, Trödel, Krimskrams und-haste-nich‘-gesehen… Irgendwo hinten hinter einem Tresen, kaum mehr als zweischulterbreit, steht ein halbnackter Mann, braungebrannt, zum Kontrast ein weißer Vollbart die Brust herunter und begrüßt uns mit dröhnender Stimme.
Willkommen in der ehemaligen Zollstation am Verlatenkloof – die heute wohl als letzter Alkohol-Außenposten im Umkreis von dutzenden Kilometern gilt. Zumindest die zwei herein stolpernden Freaks mit Bärten, Ohrringen, Schlabberklamotten und Flipflops bestellen sich ungerührt einen Erfrischungsdrink, der aus einem Drittel Whisky und zwei Dritteln Cola besteht. Oder umgekehrt. Sie stellen sich als Monteure der umliegenden Windfarmen vor. Es ist 11 Uhr, vormittags.
Wir verbringen eine vergnügliche Zeit mit Small- & Trashtalk; die anderen trinken, wir fahren weiter. Ziel: die Aquila Game Reserve liegt ziemlich nahe der durchasphaltierten N1 auf dem Rückweg nach Stellenbosch, und damit schließt sich der Kreis: Wir sind in Reichweite Kapstädter Limousinen, und um deren Besitzer wirbt Aquila offensiv – Big Five sozusagen um die Ecke. Safe Safaris. Luxury Stay. Spa.
Da unser Land Rover aufgebockt in der Werkstatt in Stellenbosch steht und unser Chinesen-Klein-SUV nicht wirklich geländefähig ist, hatten wir play safe gedacht und uns für die verbleibenden Tage ein Ziel nicht allzu fern von Stellenbosch gesucht. Private Naturschutzgebiete tragen eine nicht geringe Last der Wildlife Conservation im südlichen Afrika – aber diese müssen sich natürlich finanziell tragen oder gar Gewinn abwerfen. Also wirbt man kräftig um finanzkräftige Gäste und Touristen – und die wollen nicht nur Tiere sehen, sondern auch verwöhnt werden.
Im besten Fall wird eine Win-Win-Situation daraus, für Elefanten, Nashörner, Flusspferde, Löwen, Leoparden, Antilopen jedweder Art entsteht eine vor Wilderern relativ gut geschützte Zone; die dabei entstehenden Kosten deckt der Besitzer mit den Gästen aus den umliegenden Städten und internationalen Touristen – letztere schätzen es selbstverständlich auch, vom Flughafen in Kapstadt vergleichsweise flott in Aquila einzutreffen. Und eine große Anlage wie Aquila gibt einer Menge Menschen in Hotellerie, Gastronomie, Ranger etc. Arbeit…
Man muss aber damit leben, dass die Schlacht am Buffet genauso ausgetragen wird wie in jedwedem All inclusive-Resort. Und obendrein die Corona-Regeln akzeptieren, die zu langen Warteschlangen vor der Einlasskontrolle zu den Buffet-Tischen führen. Manche der – schwarzen – Helfer (man darf sich das Essen nicht selbst nehmen, sondern muss darauf deuten) wird ob der ungeduldigen Gäste nervös und wird von den – weißen – Gästen angeraunzt. Wir versuchen uns am Rande all dieser unschönen Begleitmusik zu halten.
Die Aquila Game Reserve weiß, dass ihre Besucher für ihr Geld Tiere erwarten, und so kommt der Eindruck auf, dass diese den Insassen der 4×4-Trucks gezielt präsentiert werden. Da bleibt wenig dem natürlichen Zufall überlassen. Offensichtlich gibt es einige Präsentations-Elefanten, -Nashörner, -Löwen u.a., von denen die Fahrer sehr genau genau wissen, wo sie anzutreffen sind.
Die altersschwach-müden Löwen (oder sind die sediert?) sind in einem nicht eben großen Extra-Gehege eingezäunt – angeblich nur, weil ihr eigentliches renoviert werde… Die Gäste in Städter-Kleidung sind an all dem ungefähr so sehr interessiert wie damals ihre Kollegen im ägyptischen Hatschepsut – ein Blick, ein (Smartphone-)Foto und dann ab an Bar & Buffet. Aufforderungen der Ranger, Fragen zu stellen, verhallen überwiegend ungehört.
Immerhin – eine Situation ragt heraus: Als sich unser Fahrzeug einer Gruppe von Wasserbüffeln nähert. Diese, so hatte der am Steuer sitzende Guide zuvor erklärt, gelten nach den Hippos als aggressivste Tiere Afrikas (und sind für die meisten menschlichen Toten verantwortlich) und obendrein als unberechenbar.
Tatsächlich splittet sich die Gruppe und der Wagen kommt mitten zwischen ihnen zu stehen – minutenlang blickt der Ranger immer wieder von links nach rechts, legt den Vorwärts-, dann den Rückwärtsgang ein, kann sich nicht entscheiden, schätzt ab, man sieht seinem faltigen Gesicht den Stress an. Schließlich: Rückzug und außen rum zurück zu den Unterkünften.
Wir haben ein nicht eben günstiges, aber sehr hübsches Chalet am äußeren Rand der Anlage erwischt, nahe des Zaunes zum riesigen Tiergehege. Insofern Glück gehabt, denn tatsächlich hat uns bei Ankunft ein Elefant sehr persönlich begrüßt. Und auch der Ausritt auf Pferden in einer nur vierköpfigen Gruppe einen Tag später wird sich lohnen – auch wenn es nur im Schritt vorwärts geht und die Flucht-Tiere auf Distanz zu potenziellen Widersachern wie den Nashörnern gehalten werden, so ist das Gefühl, hoch zu Ross inmitten der Natur oder gar ein Teil von ihr zu sein, enorm intensiv.
Kapstadt gilt als eine der schönsten Städte der Welt, bedingt durch das Zusammentreffen von Meer und Bergen, speziell dem berühmten Tafelberg. Aber Paris besteht nicht nur aus Eiffelturm, Seine, Montmartre, Rom nicht nur aus dem Colosseum usw. und so gibt es eben auch in Kapstadt Viertel, in denen Gangs wüten und die Polizei nur begrenzte Durchsetzungsmacht hat, sowie angrenzende Townships, in denen sich der Fun&Sun-Seeker nur ungern verirren möchte.
Wenn also von Kapstadt die Rede ist (und man in Instagram Bilder sieht), so geht es überwiegend um den Teil vor dem Tafelberg hin zum Meer; um Signal Hill, Lion’s Head und Devil’s Peak, den Hafen, das bunte Bo-Kaap-Viertel mit seinem Moscheen (es gibt so viele Moslems in der Gegend, dass es in Aquila einen islamischen Gebetsraum gibt), die coronavirus-bedingt nahezu leere Vergnügungsmeile Long Street und die V & A Waterfront, an der die Fähre nach Robben Island, Nelson Mandelas Gefängnisinsel, ablegt. In dieser Gegend liegt auch das beeindruckende Two Oceans Aquarium, dem wir einen Besuch abstatten.
Die V & A Waterfront ist an diesen Wochenendtagen gut bevölkert, aber wohl nur ein Schatten der Prä-Corona-Belebtheit und -Gedrängheit. Dennoch viel gute Laune, Straßenmusiker und -tänzer, und Warteschlangen vor den Restaurants. Die AHA-Regeln werden strikt beachtet – wie im ganzen Land. Und das heißt, dass man bei einem Spaziergang zu dritt allein auf weitem Feld von der Polizei angehalten wird, die Maske aufzusetzen; Bau- und Gartenarbeiter bei 35 Grad im Schatten ungerührt Maske tragen; Bars und Restaurants nur von 18 bis 20 Uhr geöffnet sind und in dieser Zeit die Gäste abfertigen müssen, die am besten ihr Essen & Trinken online oder telefonisch vorbestellen.
Das vor dem Hintergrund, dass das überlastete Stromnetz zu bestimmten Zeiten in bestimmten Gegenden nach Ankündigung abgeschaltet wird („loadshedding„) – was für Gastronomie-Küchen bedeutet, dass Herde und Kühlschränke ausfallen und möglicherweise in den relevanten beiden Abendstunden nur belegte Brote bzw. nur wenige Gerichte auf der Karte anbieten können – und keine kalten Getränke. Das vor dem Hintergrund, dass in Südafrika soziale Sicherung und Staatshilfen für coronageschüttelte Betriebe kaum vorhanden sind.
Wie so häufig, wenn man in Nord- oder Südafrika unterwegs ist: Das Gemecker im heimatlichen Deutschland entpuppt sich immer wieder als Gejammer auf höchstem Niveau. Hierzulande haben die Menschen einfach vergessen, was sie und wie gut sie es haben.