Tieren nahe zu kommen, bedeutet nicht selten, touristisch angelegte Pfade zu betreten. Das gilt für Namibia besonders. „Land der Zäune“ wird es manchmal genannt, denn wenn man eine Karte mit all den staatlichen oder privaten Naturparks und all den Farmen ansieht, so blickt man auf ein Flickenmuster, das in alle Himmelsrichtungen das Land bedeckt. Auf irgendjemandes Land steht man immer, irgendein Permit braucht es meist. Das Freiefahrtleben, wie es moderne „Nomaden“ gerne propagieren, lässt sich da besser in Portugal, Griechenland oder Marokko praktizieren.
Die Zäune bringen es mit sich, dass sich die Tiere meist dahinter bewegen und selten in Eigeninitiative erreichen lassen. Und auch wenn Killer No. 1 in Namibia der Straßenverkehr auf den Schotterpisten ist (Grund = unangepasste Geschwindigkeit) und nicht Großkatze oder Hyäne, Elefant, Nashorn oder Flusspferd, so können Begegnungen besonders mit den großen Pflanzenfressern durchaus übel enden.
So haben wir in Walvis Bay eine Ausnahme gemacht und sind in einem Hotel, der Lagoon Loge mit Blick auf die Flamingo-übersäte nämliche, abgestiegen und haben uns von der quirligen chinesischen jungen Frau an der Rezeption zwei Touren buchen lassen: eine Bootstour in die Bay und einen Offroad-Ausflug nach Sandwich Harbour. Im ersteren Fall geht es um Wale und Seehunde, im zweiten um Dünen, die direkt ins Meer auslaufen.
Die Lagoon Loge ist ein entzückendes kleines Hotel, aber zu einem Bier und einem Glühwein – ja an der Küste ist es mitunter frisch – pilgern wir noch an der Waterfront (der einzig nennenswerten in ganz Namibia) zum „Raft“, einem Restaurant, das in bester Nordseemanier auf Stelzen im Wasser steht.
Zur Bootstour geht es nach einem frühen Frühstück früh raus in den Hafen, dort wartet ein Katamaran samt Skipper Alex mit rauer Stimme und wettergegerbter Haut und einige andere Gäste. Alle frieren, nur nicht der Pelikan, der sofort an Bord geflogen kommt und mit dem die tierische Tour beginnt. Es wird auf dem Rückweg auch noch ein Seehund an Bord springen und wir werden vergeblich Wale beobachten; als eine Fluke irgendwo fern in der Bucht winkt, steuern alle Boote (unseres ist nicht das einzige) in diese Richtung, einer Hetzjagd gleich.
Damit fragt man sich sofort, warum man sich (und den Tieren) das antut. Pelikan und Seehund werden mit Namen begrüßt und mit Fisch gefüttert – aber rationiert, denn die Tiere haben die Skipper so gut trainiert, dass sie von jedem etwas kriegen. Nach ihrer Ration auf unserem Katamaran entschwinden Flug- wie Schwimm-Vieh und machen sich auf den Weg zum nächsten Kahn. Auch dort wollen Speicherchips vollfotografiert werden.
Nachmittags empfängt uns ein ehemaliger Hamburger mit einem Fortuner-SUV aus dem Hause Toyota – ein beliebtes Fahrzeug in Namibia, weil flotter und bequemer als Hilux & Land Cruiser, dabei aber aufgrund seiner Hilux-Basis mit ausreichender 4×4-Qualität. Andreas, der Fahrer, lässt die Pneus generell auf 0,9 Bar, weil er mehr im Weich- und Tiefsand von Sandwich Harbour unterwegs ist als auf den paar Asphaltstraßen Walvis Bays. Muss man halt in den Kurven mehr aufpassen, dass es einem nicht den Gummi von der Felge zieht…
Selbstfahrende Touristen werden vom Trip nach Sandwich Harbour abgehalten – fehlendes Permit und die unmissverständliche Warnung der Fahrzeugverleiher, dass das Befahren der Dünen den Verlust des Versicherungsschutzes nach sich zieht. Und wenn man stecken bleibt, kann man selber schauen, wie und wann man rauskommt. Zumal es eine Passage gibt, die nur bei Ebbe passierbar ist. Wer da sein Fahrzeug versenkt, versenkt es erst im Sand und dann im Wasser…
Allerdings, im Nachhinein: Was Andreas mit dem Fortuner schafft, schafft noch ein Dutzend anderer Tour Operators mit ihren teilweise älteren und weniger geeigneten Vehikeln – einmal mehr erweist sich, dass Luft-Rauslassen das A und O im Sand ist. Und natürlich Kenntnis der Gegend und wie sich die Fahrspuren am besten zwischen die Dünen und auch hinauf und hinunter ziehen lassen. Da hat bestimmt jeder mal Lehrgeld bezahlt.
Antilopen oder Schakale kann uns Andreas an diesem Tag nicht zeigen, wohl aber Wüstenpflanzen mit riesigen Dornen und an der Oberfläche liegenden Wurzeln: !Nara. Die Tour Operators wetteifern darum, „ihren“ Touristen ein besonderes Erlebnis zu bieten – mit Hoffnung auf günstige Mundpropaganda und gutes Trinkgeld. Andreas blickt sich daher lange um, bevor er uns zu einer besonders prächtigen !Nara führt…
Auch Buzz, der uns mit einem Land Cruiser auf der Tiger Reef Campsite in Swakopmund am nächsten Tag abholt, ist eifrig um uns und die weitere deutsche Familie in seinem Fahrzeug bemüht. Sein Thema sind die „Little Five“ in der Wüste – in Namibia bezeichnet man so Namibgecko, Zwergpuffotter, Schaufelschnauzenechse, Afrikanische Radspinne und Wüstenchamäleon. Oder einfach pauschal die kleinen Wüsten-Tiere, die nicht minder erstaunliche Überlebensstrategien in trockener Umgebung entwickelt haben.
Ihm ist ein wenig mehr Glück beschieden als seinem Vorgänger Andreas – immerhin befördert er eine „Sidewinder“-Schlange ans Tageslicht, also eine Zwergpuffotter, scheucht ein Chamäleon auf und kann eine Eidechse mit einem Trick fangen: Als er sieht auf einer Düne liegen sieht, wirft er einen Schlappen in die Luft. Die Eidechse glaubt an einen Raubvogel und gräbt sich auf der Stelle ein – und an dieser kann er sie gezielt ausbuddeln. Würde sie wegrennen, wäre die Chance gleich null, sie einzuholen…
Auf der Tiger Reef Campsite geht es für namibische Verhältnisse beengt zu, es ist freilich nicht allzuviel los. Nützt aber nix, wenn ein frohgemutes Doppel-Paar ihre nächtliche Bier-Party direkt neben unserem Stellplatz begeht und bis in die frühen Morgenstunden den Weg auf die Matratze nicht findet. Dass der Nachbar nur zwei Meter Luftlinie entfernt hinter einem dünnen Holzzaun steht und die Stoffwände der Dachzelte nicht allzu viel akustische Dämmung bieten – Partypeople finden’s halt überall cool, ihren Beat abgehen zu lassen…
Und nicht nur die. Das Abendessen im vom Reiseführer-Autor gelobten Tiger Reef Bar & Grill hatte ich zuvor schon verärgert verlassen, weil in einem weithin leeren Lokal (Bretterbude direkt am Wasser) ein durchaus gesetztes Paar den Nebentisch wählte und seine Stühle und Beine direkt in meinen Rücken schob: Soviel Kuscheldinieren muss wohl sein?! Tja, warum sollte der Bewohner von Wohlstandszonen sein „me first“-Verhalten auch ändern, wenn er die Wüste zum Reiseziel wählt…
Swakopmund erweist sich als bunt, aber beim Supermarkt muss man seine mitgebrachten Taschen außen abliefern und bekommt seine erworbenen Waren dann in diesen ausgeliefert – oder ein Wächter checkt Inhalt der Einkaufstaschen beim Verlassen auf seine Übereinstimmung mit dem Kassenzettel… „no hawkers“ verkünden Aufschriften allenthalben und die Mauern der bessergestellten Ortsansässigen ziert Überwachungskamera und Stacheldraht. Besucher rund um die Jetty tauschen sich über die potenzielle Gefährlichkeit ihres Ausflugs aus.
Buzz hatte zuvor betont, dass er 13 Kilometer entfernt von Swakopmund auf einer Farm mit Frau & Kindern wohne und noch nicht einmal die Türen abschließe. Und dass das Sicherheitsbedürfnis der Swakopmunder wohl ein besonderes sei. Vermutlich aber muss man selbst in Namibia 13 Kilometer ins Landesinnere, also die Wüste, fahren, um seine Ruhe zu haben.