Namibia beginnt mit einer Absage. Wir sind mit Freunden in deren Haus in Südafrika zum Jahreswechsel verabredet; diese entscheiden aber zugunsten einer Tour ins ehemalige deutschkaiserliche Kolonialgebiet mit ihren drei Töchtern um. Den Schwenk vollziehen wir spontan mit: Treffen am Silvesterabend in Sesriem steht nunmehr auf dem Plan.
Unser Flieger der Air Namibia (gutes vegetarisches Essen) landet nach einem schlafarmen Nachtflug in Windhoek, eine MTC-SIM-Karte ist noch am Flughafen schnell erworben, ein Fahrer der Mietwagenfirma holt uns ab und die Übergabe (in deutsch!) verläuft zügig. Ich bin kein Dogmatiker oder Fanatiker: Auch als eingeschworener Landrover- und Unimog-Fahrer freue ich mich auf die Erfahrung mit einem Toyota Hilux Double Cab-Camper mit Dachzelt. Und das im ersten Linksverkehr meines Lebens.
400 Kilometer Schotterpiste in einem Rutsch
Sofort zieht es uns auf die Schotterpiste. Auf der ist links fahren kein Problem, ist ja kaum ein Fahrzeug unterwegs. Schon eher links schalten, und der Blinker ist auch auf der verkehrten Seite: Daher betätigen wir mehrfach den Scheibenwischer, obwohl kein Regen in Sicht ist. Es gilt rund 400 Kilometer nach Sossusvlei vor dem Einbruch der Dunkelheit zwischen 18 und 19 Uhr zu bewältigen. Die geschobenen breiten Schotterstraßen gelten in Namibia nicht als Offroad, sondern als Standardstraße. Asphaltiert sind nur einige wenige wichtige Verbindungsstraßen in dem ehemaligen „Deutsch-Südwest“ von zweieinhalbfacher Fläche Deutschlands.
So heißt es denn auch: In Namibia berechnet man Strecken nicht in Kilometern, sondern in Stunden. Und dass eine Tagesetappe nicht mehr als 300-400 Kilometer umfassen sollte. Schneller als 60 bis maximal 80 km/h darf man auf den Pisten ohnehin nicht unterwegs sein. Wir merken bald: Wenn man den 90er Defender und vor allem den Unimog gewohnt ist, dann bewegt man sich in einem Toyota Hilux auf den Schotter- und Wellblechpisten mit dem Komfort einer Limousine.
Es wird sich weiter erweisen, dass die Zeit- und Streckenkalkulationen der Reiseführer auf den Durchschnittstouristen gemünzt sind. Das Amphibiums-Team, so wird offenbar, hat in den vergangenen sechs Jahren soviel „Skills“ im Fernreisen auf abgelegenen Pfaden erworben, dass wir schon am frühen Nachmittag völlig ungestresst nach einer begeisternden Berg- und Paßfahrt nahe Sossusvlei eintreffen.
Zeit für Bier & Gin auf der Campsite bei unseren Nachbarn; später dann die eigentliche Silvesterfeier in der Namib-Wüste bei lichtunverschmutztem Sternenhimmel und Braai-Grillen. Die Nacht in den 1. Januar 2019 hinein verbringen wir auf einer Matratze auf der Veranda einer Lodge des Desert Camps. Nächtliche rätselhafte Tierstimmen umgeben uns; und morgens werden wir ein paar Trittspuren um uns herum finden – Schalenabdrücke, keine Pfoten!
Gemeinsam besuchen wir am sehr frühen Morgen Sossusvlei bzw. Deadvlei. Diese wohlbekannten Sanddünenfelder zählen zu den höchsten Dünen der Welt („Big Daddy“ rd. 350 m hoch) und sind ein mühsam zu erkletterndes touristisches Muss. 60 Kilometer Straße sind von Sesriem aus durch die sich links und rechts auftürmenden Riesen-Dünen geteert worden, danach geht es noch rund vier Kilometer auf einer Sandpiste… streckenweise recht tiefer Sand. Der Hilux mit beiden Familien an Bord darf also ein bisschen wühlen.
Danach trennen sich die Wege. Die befreundete Familie K. zieht es gen Südafrika, uns gen Norden Namibias – ab auf die Schotterpiste in den Namibia-Naukluft-Park. Namibia ist Farmer-Land, links und rechts von dem „Pad“ liegt eingezäuntes Weideland von der Größe bundesdeutscher Landkreise – zumindest entlang der touri-üblichen Routen ist es mit freiem Stehen & Übernachten schwierig.
Nambia gilt als „Africa Light“ oder Afrika für Einsteiger, in gewisser Hinsicht fühlt es sich aber auch wie „Island Light“ an: Fahrtstrecken und Unterkünfte sind an kostenträchtige Permits und Vorausbuchungen gebunden, die große Freiheit wird zugunsten eines – zu Recht! – Tourismus unter Kontrolle eingeschränkt. Die Möglichkeiten Marokkos, immer und überall irgendwo und irgendwie mit einem Reisemobil stehen und nächtigen zu können, gibt es in Namibia bestenfalls in den Randzonen.
Im Namib-Naukluft-Park etwa führt eine zehn Kilometer lange schmale Bergpiste von der breiten Schotterpiste zu einer staatlichen Campsite. Früh begrüßen uns ein paar Hartmann’sche Bergzebras und so genannte Dassies (Hyrax), vor Ort verjagt ein Ranger die aufdringlichen Paviane mit einem Jagdgewehr. Die Restaurant-Crew versucht rührend, uns vegetarisch zu bekochen: Namibia ist Cattle-Land, und daher auch Fleisch-Land – egal ob Rindvieh oder Antilope. Braai – ohne Fleisch? Undenkbar!
Paviane gelten als die Pest: schlau, gerissen, hartnäckig, aufdringlich, mitunter aggressiv und einem beeindruckenden Gebiss ausgestattet. Und es gibt immer wieder dumme Touristen, die Essensreste rumliegen lassen oder gar die Paviane damit füttern. Die Geister, die sie damit riefen, werden sie dann nicht mehr los; … bis einer weint.
Unser Zeitplan in den beiden Namibia-Wochen ist straff geplant. Daher versagen wir uns die mehrstündigen Wanderwege rund um die Campsite. Es offenbart sich ein eigentümliches Spannungsverhältnis in der Wildnis: Die Schotterpisten sind relativ komfortabel (man kann sie auch mit einem VW Golf fahren), die Campsites gut organisiert und wohl ausgestattet – man fühlt sich gut aufgehoben.
Sicherheit und Un-Sicherheit
Und doch ist man umgeben von Risiken: Zu wenig Wasser dabei, der Hitze des Sommers auf der Südhalbkugel nicht gewachsen (um die 35 Grad Celsius tagsüber), von der Kälte bei Einbruch der Dunkelheit überrascht, Reifenplatzer irgendwo im nirgendwo. Mitunter sehr giftige Schlangen und Skorpione gibt es mehr oder weniger überall, um unsere Campsite im Namib-Naukluft-Park herum lebt zumindest ein Leopard.
Es ist unwahrscheinlich, dass man von all diesen Tieren attackiert wird, vor allem, wenn man ein paar Vorsichtsmaßnahmen berücksichtigt. Aber möglich – zur falschen Zeit am falschen Ort. In Deutschland drohen maximal Wildschweine, und selbst in einem Waldgebiet, dass man hierzulande für ausgedehnt hält, ist Hilfe nah. Nicht so in Namibia. Auf den großen Schotter-Pads kann man davon ausgehen, dass wenigstens alle paar Stunden mal ein Fahrzeug vorbeikommt (in der Hochsaison alle halbe Stunde).
Fahrt ins Leere
Den Auf- und Abbau des Dachzeltes auf der Ladefläche des Hilux bewältigen wir bald routiniert. Freunde davon werden wir wohl nie, obwohl diese Möglichkeit, zu reisen, in Südafrika überaus verbreitet ist. Ein Vorteil indes bietet es: Man hört die nächtlichen Stimmen all der Vögel und Bodentiere in ihrer berührenden Vielfalt, und man kann nächtliche Besucher rund ums Fahrzeug – meist welche aus der vielfältigen Antilopen-Gruppe – von oben herab durch die Moskitonetz-geschützten Fenster beobachten.
Am Folgetag biegen wir direkt in die Wüste ab, gen Gobabeb, und fahren Kilometer um Kilometer durch eine der harschesten Wüsten der Welt. Weit und breit „nichts“ – das Auge sieht bis zum Horizont in alle vier Himmelsrichtungen durch. Ein kurzer Stopp am Abzweig nach Homeb; die „Zebra-Pfanne“ lassen wir links liegen, die Campsite bei Mirabib hätten wir uns gerne angesehen. Wir müssen weiter.
Bis beim südlich gelegenen Gobabeb linkerhand, im Westen, sich die mächtigen Sanddünen aufzutürmen beginnen. Unterhalb derer verläuft der Kuiseb-(Trocken-)Fluss, der nach der Regenzeit (was heißt, dass es dann und wann ein bisschen regnet – oder ein Sturzbach sich aus dem Himmel ergiesst, aber schnell verdunstet) die Wüstenvegetation etwas sprießen lässt.
Aus dem Auto heraus sieht man also riesige Sanddünen, an deren unterem Rand ein dünner Grünstreifen verläuft… Einige Kilometer vorm Küstenstädtchen Walvis Bay „zieren“ Rohr- und Stromleitungen die Wüste und auf einmal steht eine hübsche Holzkirche mitten im Sand nahe ein paar Arbeits- und Wohngebäuden. In Walvis Bay habe wir die einzige Übernachtung der Reise in einem Chalet-Komplex gebucht.